Islandreise 2005
oder: Zu Fuß von der Lónsöræfi nach Akureyri

Der Übersicht wegen gibt es diesen Reisebericht auf mehrere Teile aufgespalten:
Gesamt Teil 1 Teil 2 Teil 3


7. August 2005
durch die Vesturöræfi




Über Nacht kam ein kräftiger Wind auf. Als ich aufwachte war meine östliche Zeltwand gleich ein ganzes Stück näher als am Abend zuvor. Ein Blick nach draußen bestätigte die Befürchtung: starker Ostwind hatte eine dichte Wolkendecke herangetrieben, von Blau keine Spur mehr. Ich konnte froh sein, daß es noch nicht regnete. Aber erstmal hatte ich ja noch die warme Hütte nebenan. Dort ging ich auch zum Frühstücken hin. Leifur gab mir noch ein bißchen frische H-Milch ab, so lecker hatte mein Müsli seit der Múlaskáli nicht mehr geschmeckt.
Aber während ich noch drinnen saß, kam draußen ein richtiger Sturm auf. Ich machte mich schleunigst daran, meine Sachen zu packen, bevor das noch naß würde, und vor allem solange es überhaupt noch stand. War wiedermal eine ziemliche Plackerei, immer einen Stein zur Hand zu haben, den ich auf die eine oder andere Plane legen konnte, so daß nichts davongeweht wurde. Zelten in Island eben. Auch wenn ich noch recht ungeschoren davon kam, ärgerte ich mich fast, nicht gleich in der Hütte geschlafen zu haben. Naja.
Laut meinem Tourenplan hatte ich gestern schon einen halben Ruhetag und könnte im besten Fall heute aufbrechen zur nächsten Etappe. Bei dem Wetter, und bei so einem netten Hüttenwart kam ich in Versuchung, den Plan ein wenig zu ändern. Aber andrerseits hatte ich ja keine Garantie, daß das Wetter besser würde, und wenn ich noch einen Tag lang hier Matheaufgaben rechnen würde, käme ich wohl gar nicht mehr davon. Also verabschiedete ich mich recht herzlich von Leifur, gab ihm noch meine Internetaddresse, und zog dann los, alleine mit meinem Rucksack.
Die Piste in Richtung Vesturöræfi hatte ich zwei Jahre zuvor schon mit dem Rad erkundet. Zunächst ging es recht öde über eine weite Schotterebene geradewegs nach Westen. Etwa 4 km von der Snæfellsskáli entfernt zog sich eine Hügelkette von Nord nach Süd, die mein Weg knapp nördlich der Sauðahnjúkar überqueren musste. Unterwegs gab es außer einigen kleinen Bächlein nicht viel zu sehen. Dafür schaute ich immer wieder zurück in Richtung Snæfell. Auf allen Seiten zogen immer wieder dicke Wolken am Berg vorbei. Mit dem kräftigen Wind im Rücken rechnete ich also eigentlich jede Minute damit, naß zu werden. Aber noch hielt das Massiv des Snæfell das gröbste ab.
Oben auf dem Hügelzug gibt es eine Abzweigung, die auf den Vestari Sauðahnjúkur hinauf führt. Von dort hatte ich bei meinem letzten Besuch eine prächtige Aussicht auf die Vesturöræfi. Diesmal sparte ich mir den Umweg allerdings, bei so einem Wetter. Statt dessen ging ich geradeaus weiter. Und ich wunderte mich nicht schlecht, daß mir plötzlich ein Jeep entgegenkam. Den ganzen Tag hatte ich noch niemanden in dieser Richtung fahren sehen, die mussten entweder durch die ganze Vesturöræfi gekommen oder sehr früh aufgebrochen sein. Natürlich hielten sie neben mir an, fragten ein bißchen nach dem woher und wohin. Ich dachte zunächst, es seien vielleicht Bauarbeiter vom Kraftwerk, auf der Suche nach einem "prrotester". Andererseits hatten sie hochwertige Leica-Ferngläser auf Stativen dabei und offensichtlich nicht so viel Ahnung von der Gegend. Vogelbeobachter, vermute ich, und eigentlich wollten sie zur Lindur-Hütte, was auch mein Tagesziel war. Und sie fragten mich nach dem Weg. Ich meinte, da käme man besser aus dem Norden hin, zumindest mit einem Jeep. Und das probierten sie dann wohl auch, nachdem wir uns verabschiedet hatten.
Vom Hügelzug hatte ich wenigstens einen halbwegs guten Blick über die Vesturöræfi, mit ihren Bächen, Seen und Mooren. Und auf die Piste, die mitten in diese Grüne Landschaft hineinführte und sich irgendwo im Gras verlor. Dort ging ich etwa die nächsten 5 km entlang. Sofort als ich ins grasbewachsene Gebiet kam, änderte sich auch der Charakter der Piste. Spurrillen waren tief eingegraben und -gebrochen, stellenweise einen ganzen Meter und tiefer. Stellte ich mir sehr unangenehm vor, mit einem Auto. Aber zu Fuß kam ich recht zügig voran, zumal es bergab ging und ich auch noch kräftigen Rückenwind hatte. Im Laufe dieser Strecke kam auch der langerwartete Regen, von dem ich aber deutlich weniger abbekam, als mein Rucksack, der natürlich in der Regenhülle eingepackt war.
Nach einer ganzen Weile kam ich am Ufer der Sauðá an. Hier hatte ich vor zwei Jahren eine ausgiebige Pause gemacht, mich ein wenig im Gras gesonnt, frisches Wasser aus dem Bach getrunken. Aber bei dem Regen heute stand ich nur kurz mit aufgesetzter Sturmhaube da und konnte mich nichtmal aufraffen, ein Foto zu machen. Die Piste durchquerte hier die Sauða nur um 500 m weiter aufs diesseitige Flußufer zurückzukommen. Darauf hatte ich bei Regen und kaltem Wind keine Lust. Statt dessen umging ich den Bogen der Sauða auf der Nordseite quer durch die Buckelwiese.
Als ich bei der zweiten Furt angekommen war, stellte sich die Frage, wie ich am besten weiter sollte. Irgendwo ist in manchen Karten ein Weg eingezeichnet, der mal direkt bei der Furt, mal eine ganze Ecke weiter südwestlich von der Piste zur Sauðakofi abzweigt. Den Weg zur Sauðakofi kannte ich, aber weder bei meinem letzten Besuch noch jetzt konnte ich einen Weg in Richtung Lindur finden. Aber in weiter Ferne konnte ich den Sauðafell sehen, wenn ich auf dessen Nordflanke zuhielt, müsste ich auch so in etwa richtig ankommen. Also querfeldein.
Am Anfang kam ich bestens voran. Es ging flach durch niedriges Gras und schien auch noch eine ganze Weile so weiterzugehen, und dann in etwa einem Kilometer Entfernung auf ein paar kleine Hügel hinauf. Während ich so vor mich hin marschierte kam ich zunächst an einigen kleinen ausgetrockneten Tümpeln vorbei, die sich als braune Flecke deutlich von der grasig grünen Umgebung abhoben. Außerdem konnte ich in der Ebene vor mir jetzt auch einige gefüllte Seen an ihrer glänzenden Wasserfläche erkennen. Aber ich dachte mir noch nichts dabei. Nagut, ein bißchen sumpfig würde es wohl unvermeidlich wieder werden, etwa so wie am Rand der Eyjabakkar. So ging ich also weiter, merkte auch, daß um mich herum immer wieder vereinzelte Wollgrashalme aus der Buckelwiese herausragten, auch wenn sie sich um die Seen herum ziemlich zurückhielten. Und plötzlich stand ich mitten im Sumpf. Bei jedem Schritt versank ich etwa bis an die Knöchel in der rötlich braunen Brühe zwischen den nassen Grassoden. Ich sondierte den Weg mit meinen Wanderstöcken. Dort wo sich noch Gras oder das weiße Wollgras halten konnte, war der Boden meist noch relativ fest. Sehr viel tückischer waren die Moospolster, die sich oft genau über den Rinnsalen ausbreiteten, die das ganze Moor durchzogen. Ich schaute immer wieder sehnsüchtig auf die Hügel vor mir. Wahrscheinlich lag der "offizielle" Weg deswegen irgendwo südlich von mir, weil vor mir schonmal jemand keine Lust hatte, das Moor zu durchqueren.
Meine Laune war ziemlich am Tiefpunkt, als der Boden endlich wieder fester wurde. Von oben Regen, kalter Wind, von unten bis über die Knöchel ziemlich nasse Schuhe mit schweren Lehmklumpen an der Sohle, und bis zu den Knien herauf vom rostroten Wasser vollgespritzt und dreckig. Das hätte ich wohl besser machen können, ärgerte ich mich. Es dauerte gar nicht so lange, da stieß ich auf dem Hügelzug auch auf eine Jeep-Piste, die von Nordosten kam und sicher in einem Bogen zur Furt bei der Sauðá führte.
Die Karte, auf der diese Piste am richtigsten eingezeichnet war, war die von Landsvirkjun. Aber diese Karte, besagte auch, daß die Piste nicht zu meinem Ziel Lindur führte, sondern eher nach Nordosten. Auch das deckte sich mit meiner Beobachtung vor Ort, also blieb ich nicht allzulange auf der Piste, sondern ging den Hügelzug gleich auf der anderen Seite wieder herunter. Dort wollte ich dann am Hang entlang geradewegs nach Norden zu laufen. Das war zwar auf Dauer ziemlich anstrengend, weil ich immer wieder Bachläufe kreuzen musste und über Buckelwiesen hüpfen. Aber nachdem das Wasser so gesammelt ablief, hielten sich die sumpfigen Stellen in Grenzen, verglichen mit dem Erlebnis vom Vormittag!
Ich wusste nicht so genau, wo die Lindur-Hütte eigentlich sein sollte, aber nachdem ich hinunter ins Tal der Jökulsá í Dal schauen konnte, würde ich sie schon irgendwann entdecken. Nach einiger Zeit sah ich aber erstmal rechts von mir auf einem Hügel einige Bagger, die in der Ferne irgendwas in die Landschaft setzten. Allzu nah wollte ich denen nicht unbedingt kommen, also wich ich weiter nach unten in Richtung Jökla aus. Bald darauf konnte ich dann eine Jeep-Piste quer zu meiner Richtung erkennen, die wohl geradewegs nach Lindur führen müsste. Wohin auch sonst, da unten war ja nur noch der Fluss. Noch einen letzten Bach musste ich überqueren, der sich besonders tief eingegraben hatte, dann stand ich auf der Piste. Und keine Viertelstunde später sah ich die lang ersehnte Hütte Lindur.
Eigentlich war es erst etwa 15 Uhr, also früher Nachmittag. Aber nach dem Sumpf, Dauerregen und Wind hatte ich genug für den Tag. Bei dem Wetter mein Zelt aufzubauen hatte ich auch keine rechte Lust, also besah ich erstmal die Hütte von innen und stellte dort meinen Rucksack ab. Es gab einige muffige Betten, einen klapprigen Stuhl, eine Sammlung alter Gaskartuschen und sogar ein bißchen verbeultes und angeschlagenes Geschirr. Außerdem gab es etliche Fliegen in allen erdenklichen Größen und weitere Haustiere, wie z.B. Spinnen. Allesamt also nicht sehr einladend. Aber immerhin trocken. Ich machte erstmal Pause und vertiefte mich in meine Reiselektüre, in der Hoffnung auf eine Regenpause.
Die erhoffte Regenpause kam nicht, also packte ich nach einer Weile mein Regenzeug und meine Fotoausrüstung und ging in Richtung der steilen Klippe, wo man unten den Fluß donnern hörte. Genaugenommen befand sich die Hütte auf einer Schuttebene, die am Rand des Hanges lag. Etwa so, als wäre der Fluss schon öfters aufgestaut gewesen und als hätten sich dabei im Stausee Sedimente abgelagert, die das halbe Tal auffüllten. Dann hat der Fluss sich einen neuen Abfluss geschaffen und sich wieder durch die Sedimente bis zum Grundgestein durchgegraben. Entsprechende ebene Flächen gab es auf gleicher Höhe auf der anderen Flussseite, und das sogar in mehreren Höhenlagen. Der geplante Stausee würde wohl noch ein Stückchen weiter hinauf reichen, war für den Fluss in geologischer Hinsicht aber sicher keine große Neuerung.
Jedenfalls stand ich oben auf der Geröllfläche, auf der sich schon einiges Gras angesiedelt hatte. Unter mir ging es noch etwa 30m über lockeres Geröll und Sand nach unten, dort war nochmal eine kleine Ebene aus festem Grundgestein und in deren Mitte suchte sich die Jökla ihr Flußbett. Und was für ein Flussbett. Rötliche Gesteine, dunkle schwarze Felsen, ein paar dünne rote Adern, die sich durch den schwarzen Stein zogen, weiter unterhalb sah ich einige typische sechseckige Basaltsäulen, und dazwischen hindurch donnerten die Fluten der Jökulsá í Dal. Rauðflúa wird sie hier genannt, Rotfluten. Sehr passender Name. Und hier war also ein Großteil der Bilder entstanden, die mich zu dieser Reise angestachelt hatten. Wußte ich zwar vorher nicht, kam mir aber sehr gelegen.
Ich suchte mir einen kleinen Einschnitt in dem steilen Hang, wo auch schon vor mir Fußspuren hinunter führten, dann stand ich direkt am Fluß. Daß es immer noch dauernd regnete nahm ich gar nicht mehr richtig wahr. Erst einen kompletten Dia-Film und zig Digitalbilder später kletterte ich wieder den sandigen Einschnitt nach oben, um zur Hütte zu gelangen. Dort musste ich erstmal meine Schuhe ausleeren, so viele kleine Steinchen hatten sich darin angesammelt.
Nachdem es langsam Abend wurde beschloss ich eben, doch noch bei Regen mein Zelt aufzubauen und einzurichten. Danach erkundete ich die verschiedenen Bäche, die an der Hütte vorbeiflossen bzw. knapp oberhalb entsprangen. Eigentlich war ich auf der Suche nach Wasser zum Trinken und Kochen, und hatte schon ganz vergessen, daß ich ursprünglich diese Hüte als Tagesziel angepeilt hatte, weil auf der 1:250.000 Aðalkort an dieser Stelle eine heiße Quelle eingezeichnet war. Völlig unscheinbar und ohne die typischen gelben Schwefelablagerungen und ohne dem typischen Geruch quoll hier lauwarmes Wasser hervor, wie ich überrascht feststellte. Ich probierte einen Schluck und beschloss, daß ich das Wasser wohl auch zum kochen verwenden könnte, was ich bei normalen heißen Quellen lieber vermeide. Anderes Wasser hatte ich hier aber sowieso nicht zur Hand.
Es gab wieder meine leckeren Standard-Nudeln zum Essen, ohne Schwefelgeschmack und vielleicht mit echtem Mineralwasser gekocht. Danach wollte ich mich noch im wärmsten Quelltopf ein bißchen aufheizen und dann schlafen gehen. Also meine Badesachen hervorgekramt und mit Handtuch bei Regen zum warmen Wasser laufen. Leider war das aber gar nicht so warm, nur etwa 30 Grad. Zum Schwimmen gerade die richtige Temperatur, aber ich konnte mich ja kaum richtig ausstrecken in dem kleinen Topf. Um längerfristig drin liegen zu bleiben war mir das etwas zu kalt. Immerhin war ich nach 5 Minuten wieder ein bißchen frisch gewaschen, als ich schleunigst wieder zurück zum Zelt rannte um mich in den Schlafsack zu kuscheln.

Bilder der Tages:

8. August 2005
entlang der Jökla














Über Nacht hat es noch eine ganze Weile weiter geregnet und aus Südosten gestürmt. Ich hatte mir gleich einen Windschutz in dieser Richtung gesucht, als ich das Zelt aufgebaut hab, so daß ich angenehm trocken und ruhig schlafen konnte. Am nächsten Morgen kam der Wind aus Südwesten, das Blau überwog zwischen den Wolken und es war eigentlich richtig schönes Wetter. Also hab ich nach einem kurzen Frühstück schnell zusammengepackt, noch ein paar Bilder von den heißen Quellen gemacht, und bin dann in Richtung Norden losgezogen.
Anfangs hatte ich einige Schafspfade, auf denen ich mich halten konnte. Nach ein paar Hügeln hatten sich die Spuren verloren und ich lief wiedermal querfeldein übers Gras. Und das eine ganze Weile lang. In dem engen Tal der Jökla war noch keine Spur von Baustelle, Straße oder Brücke zu sehen, und eigentlich wollte ich ja nur zu der Brücke. Der Weg dorthin zog sich noch ein ganzes Stück länger, als ich gedacht hätte. Ich hielt mich ein bißchen mehr bergauf, um von einem Hügel aus eine bessere Übersicht zu haben. Als ich dem Gipfel immer näher kam fielen mir einige Steinwarten auf, die dort gebaut waren. Und als ich bei denen angekommen war, hatte ich auch in etwa den Überblick, den ich erwartet hatte. Vor mir zog sich offenbar die neue Hauptstraße durch die Landschaft, zumindest sah ich LKWs und einige Jeeps dort entlangrasen. Weiter links verschwand die Straße nach unten ins Tal hinein. Auf der anderen Seite des Tals tauchte sie in etlichen Serpentinen wieder auf und führte dann zu der Containerstadt, die auf dem Hügel vor mir thronte.
Ich machte erstmal eine Pause, setzte den Rucksack ab, knabberte einen Müsliriegel und plante meinen weiteren Weg. Zur Brücke war es wohl nicht mehr weit. Irgendwo direkt bei der Brücke war ein paar Tage zuvor noch das protest camp gewesen, das kurz vor meinem Abflug aufgelöst worden war. Außerdem konnte ich eine kleine Stichstraße erkennen, die von der Hauptpiste nach Südwesten abzweigte und dort irgendwo beim Fluss verschwand. An dieser Nebenpiste war auch eine kleine Baustelle oder soetwas, sowie zwei Jeeps und ein ganzer Trupp Leute. Irgendwie hatte ich aber den Eindruck, daß dies keine ganz gewöhnlichen Bauarbeiter waren, und nachdem mein Weg sowieso fast direkt dran vorbeiführte, beschloss ich, die Sache aus der Nähe zu betrachten. Ich musste noch einem kleinen Bachlauf ausweichen, ging ansonsten aber schnurstracks auf die Gruppe zu.
Aus der Nähe betrachtet sahen sie wirklich überhaupt nicht mehr wie Bauarbeiter aus. Sie hatten keine einheitliche Arbeiterkluft, wirkten relativ entspannt und saßen eigentlich vorerst auch nur im Gras. Wirkte eher wie Picknicken in schmuddeligen Arbeitshosen. Aus der Nähe sah ich jetzt auch, daß einer der Jeeps vom "Þjóðminnjasafnið" war, dem Nationalmuseum. Archäologen! Nach einem kurzen Gruß wurde mir gleich mal Kaffe und Kekse angeboten. Auch wenn ich vor anderthalb Stunden erst Frühstück hatte, setzte ich mich dazu und plauderte ein wenig über das woher und wohin. Außerdem bekam ich natürlich eine kleine Führung durch die Ausgrabungsstätte. Bei ihrer Besprechung rätselten sie grade, hier ein paar Pfostenlöcher, dort keine, hier vermutlich ein Dach, dort wohl eher nur ein Pferch. Vermutlich handelte es sich um eine Almhütte, im Sommer zum Schafehüten benutzt, im Winter verlassen und leerstehend. Ich fand das sehr spannend, zumal meine Reiselektüre "Islandreise" von Poul Vad sich um die Hrafnkelssaga drehte, die zum Teil genau in dieser Gegend Islands, vielleicht genau in diesem Almhäuschen stattgefunden hat.
Die Archäologen machten hier eine "Notgrabung", die möglichst vor Fertigstellung des Staudammes abgeschlossen sein musste. Sie wohnten mit insgesamt etwa 1600 anderen Menschen in der Containersiedlung auf dem Berg und hatten die Sicherheitsmaßnahmen wegen des protest camps am eigenen Leib miterlebt. Und dadurch hatten sie auch einen exklusiven Logenplatz mit Blick auf beide Seiten der Front zwischen Kraftwerksgegnern und -befürwortern.
Nach dem ausgedehnten zweiten Frühstück zog ich weiter und die Archäologen machten sich ans Buddeln. Ich packte meinen Rucksack und marschierte nach Norden, zur Hauptversorgungsstraße der Bauarbeitersiedlung. Irgendwo dort probierte ich mal mein Handy aus, und hatte auch prompt sehr guten Empfang. Das nutzte ich, um mich Zuhause zu melden, wenn es schonmal Handynetz gab. Ansonsten war das nächste Stück an der breiten Piste entlang mit den vielen LKW recht monoton. Es ging bald steil bergab, und ganz unten konnte ich jetzt auch endlich die Brücke sehen, die der eigentliche Grund für den ganzen Umweg nach Norden war.
Ich war kaum über sie hinüber und erst ein kleines Stück den Hang auf der anderen Seite hinauf, da kam mal wieder ein PickUp-Jeep auf der Straße angefahren. Er hielt an und ein kräftiger Isländer fragte mich aus dem Fenster heraus, woher und wohin, und ich sollte doch meinen Rucksack hinten auf die Ladefläche tun und einsteigen. "It's too dangerous with all this machinery around". Ob die Maschinen zu gefährlich für mich oder ich zu gefährlich für die Maschinen war, fragte ich lieber nicht. Oben, wo ich über die Sauða könnte und meinen geplanten Weg nach Süden fortsetzen wollte, da wollte er mich wieder absetzen. Nungut, dachte ich mir, wenns nicht anders geht. Auf der Piste bergauf zu laufen machte außerdem wirklich keinen Spaß. Ich fuhr also ein Stück weit im Jeep mit, etwa 500 Meter. Das ging doch sehr viel schneller so, als zu Fuß. Da wo die Piste aus der letzten Serpentine heraus in Richtung der Containerstadt abbog, wurde ich wieder abgesetzt mit meinem Gepäck. Und weg von der Containersiedlung, in dieser Richtung da ist dein Weg, wurde mir noch gesagt. Recht unfreundlich, aber durchaus noch höflich. Mehr konnte ich sowieso nicht erwarten.
Ich stand bald mal wieder am Ufer oberhalb einer Sauða, denn auch auf dieser Seite der Jökulsá í Dal gab es einen kleinen Bach dieses Namens. Ein klarer Frischwasserbach, nicht besonders schwierig zu furten. Ich hielt dennoch lange Ausschau, ob ich vielleicht von Stein zu Stein sogar trocken hinüber kommen könnte. Vergeblich. Letztlich musste ich mir doch die Schuhe ausziehen und hinüberwaten. Auf der Südseite ging es erstmal steil hinauf und dann am Hang hoch über der Jökla entlang südwärts.
Ich konnte den Weg verfolgen, den ich heute früh auf der Ostseite des Flusses gelaufen war. Die Archäologen machten jetzt gerade Mittagspause und fuhren mit ihren Jeeps davon. Und hinter der Flussbiegung musste irgendwo Lindur liegen. Ungefähr dort wollte ich wieder unten am Fluss ankommen, auf der anderen Seite der tollen Stelle, die ich gestern abend auf meinem kurzen Spaziergang besucht hatte. Also suchte ich mir einen entsprechenden Weg über Gras und Steine schräg am Hang hinab. Wahrscheinlich hätte ich den noch viel steiler wählen können und sollen, wer weiß, was ich da alles verpasst habe, denn von meinem hohen Weg am Hang konnte ich den Grund des Tales gar nicht richtig sehen.
Vor mir sah ich den Einschnitt des Tröllagílslækur, der in etwa gegenüber von Lindur in die Jökla mündete. Und über dieses kleine Bächlein musste ich noch hinüber. Aber das ging diesmal ohne nasse Füße. Hinter dem Bach bin ich dann geradewegs hinunter zur Jökla gelaufen. Eigentlich ärgerte ich mich immer mehr, daß ich so lange oben auf dem relativ langweiligen Gras gelaufen war und nichts vom Fluss gesehen hatte. Unten war der Boden zwar steiniger und das Laufen anstrengender, aber dafür wurde ich auch mit einer abwechslungsreicheren Umgebung belohnt.
Gerade an der Stelle, wo ich den Fluss erreichte, waren überall sechseckige Basaltsäulen direkt am Ufer. Unzählige dieser Orgelpfeiffen standen auf beiden Seiten, und dazwischen donnerte die reißende Jökulsá in Richtung Meer. Beeindruckend, wie die zierlichen Basaltsäulen dem brodelnden Fluss gegenüberstanden. Von hier aus hatte ich einen deutlich besseren Blick, als am Abend zuvor vom anderen Flußufer.
Ein Stückchen weiter stand ich wieder auf den grauen, feinkörnigen Sedimentlagen, die ich schon von der anderen Seite kannte. Am gegenüberliegenden Ufer konnte ich sogar meine eigenen Spuren im Schutt erkennen. Oberhalb von hier lag also Lindur auf den Schutthügeln und jenseits des Flusses. Zum Greiffen nah und doch nur mit mehreren Kilometern Umweg zu erreichen. Die Hütte selbst sah ich nicht, aber den Bach, der von den warmen Quellen abfloss und hier in die Jökla mündete. Nicht mehr viel weiter kam ich an die rote Stelle im Gestein, die ich auch gestern bereits gesehen hatte. Ich war überwältigt, wie abwechslungsreich das Flussufer hier auf wenigen hundert Metern war. Sicher eine der schönsten Stellen, die vom Stausee überflutet wird.
Hier im Geröll direkt am Fluss gab es sogar eine kleine Landebahn, die mit blauen Plastikkanistern markiert war. Ich musste an die Bilder von Ómar Ragnarssón denken, der mit seiner Cessna in die abgelegensten Winkel Islands flog um in seinen Fernsehreportagen die dortige Landschaft festzuhalten. Gegen das Kárahnjúkar-Kraftwerk das hier gebaut wurde, hatte er sich mit besonderem Engagement eingesetzt, und auf einem Bild flog er mit der kleinen Cesna geradewegs durch den hiesigen Canyon.
Der Fluß gefiel mir, so abwechslungsreich wie er war. Also ging ich nach einer kurzen Pause weiter am Ufer entlang nach Süden. Schlagartig stand ich auf einer grünen Wiese, die wieder im starken Kontrast zu der unwirtlichen steinigen Gegend bisher stand. Leider war es das aber dann erstmal hinsichtlich Abwechslung. Die nächsten paar Kilometer ging es vergleichsweise unspektakulär im Grünen dahin. Dafür fesselte mich der Fluß umso mehr, mit seinen Strudeln und Wirbeln im graubraunen Wasser. Außerdem klarte der Himmel immer mehr auf und ich hatte bald so viel Sonnenschein wie schon lange nicht mehr.
Nach einer Flussbiegung kam ein kurzes Schotterfeld, bei der nächsten Flussbiegung kam dann mal eine richtige Herausforderung. Ein feinkörniger Sand und Schutthang der geradewegs in den Fluss hinunter führte. Und der Hang war ziemlich steil, etwa 45 Grad und mehr. Er bestand fast vollständig aus lockerem Sand mit einiger größeren Steinen darin. Und unten wartete der Fluß geradezu darauf, daß man ins Rutschen geriet. Zwar konnte ich hier eindeutige Fußspuren von mehreren Leuten erkennen, die vor mir dort entlanggegangen waren, aber das machte es auch nicht einfacher. Etwa einen Kilometer zog sich die Zitterpartie dahin. Danach war wieder Pause angesagt, und Sand aus den Schuhen leeren.
Der Fluß wurde hier breiter und floß gemächlicher dahin. Auch das Tal rundherum wurde breiter und war üppig mit Gras und Moos bewachsen. Am gegenüberligenden Ufer konnte ich einige Rentiere entdecken, die hoch am Hang standen und gemächlich ästen. Die Fußspuren, die ich im Sand so sicher verfolgen konnte, verloren sich allerdings in der Vegetation. Dennoch ging es eindeutig auf einen kleinen Hügel zu, um den die nächste Flußbiegung ging. Meinem Gefühl nach müßte ich schon ziemlich nah an der Mündung der Kringílsá sein, wenn schon nicht hinter der letzten Flußbiegung dann vielleicht bei der nächsten?
Es ging gemächlich den Hügel hinauf und je weiter oben ich war, desto mehr vedichteten sich auch die Fußspuren wieder zu einem einzigen Pfad. Schließlich stand ich auf einer Kuppe und vor mir ging es abrupt steil zum Fluß hinunter. Oder zu den Flüssen. Die Jökulsá í Dal lag recht breit vor mir, von rechts kam die Kringílsá aus einer engen Schlucht mit mehreren Wasserfällen dazu, und ich hatte einen Logenplatz mit bester Übersicht auf alles. Eine Pause mit Fotostop war vorprogrammiert. Und den weiteren Weg konnte ich auch ein bißchen überschauen. Es ging nach rechts den Hügel wieder hinunter, dann ein paar hundert Meter flach dahin, bevor es am Nordufer der Kringílsá steil bergauf ging. Außerdem entdeckte ich unmittelbar bei der Mündung der Kringílsá in die Jökla eine eigenartige Brückenkonstruktion. Von der hatte ich noch nichts gehört, und meine Neugierde war geweckt.
Ich ging also zunächst auf dem ausgetretenen Pfad abwärts und bog dort, wo sich die Spuren in der grasigen Ebene verloren, in Richtung der Brücke ab. Aus der Nähe betrachtet handelte es sich eigentlich um eine Seilbahn und nicht um eine Brücke. Irgendjemand hatte sie wohl gebaut, um einfacher auf die Kringílsárrani zu kommen, die eigentlich unzugängliche Insel zwischen den beiden Gletscherflüssen Kringílsá und Jökulsá í Dal, die im Süden durch den Gletscher begrenzt wurde. Dort kamen normalerweise keine Schafe hin, nur einige Rentiere gab es dort, und deswegen ist das auch eine für Island so einzigartige Landschaft, die bis vor kurzem unter Naturschutz stand. Für den Staudamm wurde das Schutzgebiet mal eben ein bißchen verkleinert und außerdem auch für Rentiere unerreichbar durch einen See von der Vesturöræfi getrennt.
Die Seilbahn war bestimmt von den sehr aktiven Reiseleitern des Ferðafélag Augnablík angelegt, die etliche Wandertouren in der Gegend anboten. Der einzige andere Weg, um von der Kringílsárrani wieder herunter zu kommen, wäre im Süden über den Gletscher. Für mich hätte es wohl einen Umweg von einem Tag bedeuted, wenn ich mit der Seilbahn auf die Südseite der Kringílsá übergesetzt hätte. Auch so war die Etappe bis zu meinem nächsten Vorratspaket schon recht lang, so daß ich beschloß, lieber auf der Nordseite zu bleiben.
Also wanderte ich an der Schlucht der Kringílsá entlang und erstmal steil nach oben. Unter und neben mir in der Schlucht reihte sich Wasserfall an Wasserfall, und als ich am Rand des Canyons entlanglief, fühlte ich mich an den Jökulsárgljúfur-Nationalpark erinnert, in dem es zwischen Dettifoss und Ásbyrgi ähnlich am grünen Canyongrund dahin ging. Links und rechts des Canyons lagen hier weite Ebenen, die von kleinen Bächen durchzogen waren und schöne Weideflächen ergaben. Dementsprechend begegneten mir auch wieder Schafe und nochmal einige Rentiere, wobei jedoch vor allem letztere respektvoll Abstand hielten.
Wie beschrieben kam ich an etlichen Wasserfällen vorbei. Irgendwo vor mir musste aber noch ein besonders großer kommen, der Töfrafoss. So ganz genau hatte ich meine Tagesetappe nicht geplant, aber so ein Wasserfall wäre sicher ein lohnendes Ziel. Und allzuweit konnte er auch nicht mehr sein. Trotzdem zog sich das letzte Stück noch eine ganze Weile dahin. Ich musste immer wieder diese typischen tiefeingeschnittenen Bachläufe überqueren und konnte nur selten den geraden Weg an der Kringílsá entlang gehen.
Nach einigen Kilometern kam ich aber doch endlich an jenen letzten großen Wasserfall, den Töfrafoss oder Kringílsárfoss. Bis zu diesem Wasserfall sollte der Stausee mal reichen, wenn erst der Damm bei den Kárahnjúkar fertig ist. Und dort beim Wasserfall wollte ich zelten. Nachdem das Licht unten in der Schlucht jetzt abends schon recht schlecht war, verschob ich die Fotosession auf morgen früh und suchte mir gleich etwas weiter oben ein Fleckchen zum Übernachten.
Ganz in der Nähe des Töfrafoss standen zwei Jeeps mitten in der Landschaft. Ich hatte ja eigentlich gedacht, man komme zu dem Wasserfall nur zu Fuß und ich würde dort weit und breit keinen Menschen sehen. Sogesehen war ich jetzt doch ein bißchen enttäuscht. Ich schaute erstmal nach, ob die Jeepfahrer schon irgendwo ein Camp aufgestellt hatten, aber genaugenommen war doch kein Mensch weit und breit zu sehen, nur die Autos. Also suchte ich mir den nächsten schönen Bach und richtete meinen Zeltplatz dort ein.
Während ich meine Nudeln kochte, ging so langsam die Sonne unter. Die Schatten wurden immer länger und ich hatte wiedermal einzigartiges Licht auf dem Snæfell, den ich seit einiger Zeit wieder im Osten sehen konnte. Außerdem sah ich einige dunkle Wolken fern über dem Vatnajökull, die aber für mich harmlos waren. Wunderbares Licht und eine schöne Abendstimmung waren mir zumindest für heute noch sicher.
Ich war grade mit Essen fertig und wollte noch einen kurzen Abendspaziergang zum Wasserfall machen, da sah ich einige leuchtend rote und blaue Jacken von Osten heranhüpfen. Sie verschwanden immer wieder kurz in den tiefen Einschnitten der Bachläufe und tauchten dann wieder auf. Insgesamt kamen sie jedenfalls eindeutig auf mich zu. Das waren natürlich die Jeepfahrer, zwei isländische Familien mitsamt Freunden und Bekannten. Sie grüßten mich zwar freundlich, wollten aber offensichtlich nur noch zu ihren Autos mit den Vorräten darin. Kurz nachdem auch der letzte Nachzügler eingetroffen war, fuhren sie von dannen. Dafür war ein dritter Jeep gekommen, geradewegs aus Richtung Norden. Es gab dort eine Piste, ich weiß bis heute nicht, wo sie anfängt, aber sie schien ziemlich beliebt zu sein.
Irgendwann verkroch ich mich einfach in mein Zelt. Die späten Besucher hatten an mir offenbar kein Interesse und zogen irgendwann auch wieder ab. Als ich dann im Schlafsack lag, war um mich herum endlich die absolute Ruhe und Einsamkeit, die ich erwartet hatte. Nur das Rauschen vom Töfrafoss war zu hören, das sich mit dem Plätschern meines "Hausbaches" vermischte.

Bilder der Tages:

9. August 2005
zum Grágæsadalur








Auch am nächsten Morgen war das Wetter recht freundlich. Eigentlich sogar ein bißchen zu gut. Strahlender Sonnenschein, nur ein paar wenige recht hochgelegene Wolken, das Blau überwog irgendwie. Das musste ich gleich nutzen, bevor es noch zuzog. Also bin ich früh raus, hab meine Fotoausrüstung gepackt und die hundert Meter zum Töfrafoss zurückgelegt. Die Sonne leuchtete geradewegs in die Schlucht hinein und auf den Wasserfall, deutlich besseres Licht als gestern abend. Und ich hab auch deutlich mehr Fotos gemacht. Ein sehr guter Start in den Tag.
Nach diesem kurzen Ausflug bin ich schnell zurück zum Zelt und hab ein bißchen gefrühstückt. Meine sieben Sachen waren im Nu zusammengepackt und ich brach auf. Zunächst wollte ich noch eine Weile am Fluss entlang gehen, je nachdem wie mir die Landschaft dort gefiel. Danach musste ich irgendwann abbiegen und querfeldein in Richtung Westen marschieren. Dort konnte ich schon einige Berggipfel sehen, die wohl die Fagrifjöll sein mussten, und an deren Südende müsste irgendwo das Grágæsadalur liegen, eine kleine grüne Oase mit einer privaten Hütte.
Zunächst konnte ich mir das noch gar nicht so richtig vorstellen, eine Oase. Ich lief auf einer schönen grünen Wiese mit viel Moosen und Flechten. Quer zu meinem Weg gab es etliche kleine Bachläufe, ähnlich dem, wo ich gezeltet hatte. Ich fing unterwegs sogar an, allerlei Pflanzen und Pilze in Großaufnahme zu fotografieren, damit ich mich zu Hause mal hinsetzen konnte, und ein bißchen was über die isländische Flora lernen. Die Kringílsá neben mir floß hier in ihrem Oberlauf relativ gemächlich dahin und bot nur wenige abwechslungsreiche Fotomotive.
Rechts von mir ging es aber noch ein Stück auf einen Hügel hinauf, dann endete die Vegetation abrupt. Statt dessen lagen Steine in allen erdenklichen Größen herum, dazwischen ein bißchen Sand und nur wenige verdorrte Halme. Und der schmale grüne Streifen, in dem ich entlangging, wurde immer schmaler. Der Fluss neben mir hatte wie gesagt auch nicht mehr viel an Stromschnellen und Wasserfällen zu bieten. Durch einen Blick auf den Brúarjökull nach links konnte ich mich versichern, daß in der Kringílsá bis auf die Höhe des Gletschers auch nicht mehr viel Gefälle sein konnte. Also beschloss ich, abzubiegen. Per GPS peilte ich grob die Richtung zum Grágæsadalur an, also aufs Südende die genannten Berggipfel zu, und es ging ab in die Moränen- und Geröllandschaft nach rechts.
Zu meiner Verwunderung stieß ich dort sehr bald auf eine Piste. Sie verlief wohl ein Stück nördlich parallel zu meinem ursprünglichen Weg am Fluss entlang. Und nachdem schon der Fluß nicht ganz meine Richtung war, überquerte ich auch diese Piste nur kurz und marschierte weiter auf meinem Weg querfeldein. Laut Karten müsste ich bald eine grüne Stelle und möglicherweise ein bißchen Sumpf durchqueren, Þorláksmýrar. Und laut Atlaskort gab es dort einen Bach, der nach Norden floss, laut Aðalkort einen, der nach Süden floss. Die Senke vor mir sah ich recht bald, nachdem ich über die Piste war, und auch daß sie wieder recht grün bewachsen war, stellenweise mit warnenden weißen Wollgrasfahnen. Und einige Wasseradern und kleine Seen konnte ich auch erkennen. Der beste Weg war wohl einfach gerade hindurch, vielleicht in einem kleinen Bogen nach Norden, da sah es eigentlich nichtmal sehr sumpfig aus.
Gesagt getan, ich sank heute nur selten bis an die Knöchel ein und kam eigentlich sehr gut voran. Bis ich plötzlich an einem der Bachläufe stand, die ich aus der Ferne schon gesehen hatte. Der sah aus der Nähe betrachtet allerdings nicht sehr einladend aus, um nicht zu sagen ziemlich tief. Andererseits konnte ich auch aus den Nähe das Rätsel, in welche Richtung das Wasser nun wirklich floß, nicht abschließend lösen. Eigentlich sah das Ganze eher wie ein langgezogener See in einem engen Graben aus. Also konnte eine bessere Stelle, hinüberzugelangen, nicht allzuweit sein.
Tatsächlich musste ich nicht lange suchen, dann wurde der See zu einem kleinen Rinnsal und ich kam trockenen Fußes auf die andere Seite. Dort sah ich mitten in der grünen Landschaft ein paar auffällig helle Steine mit viel schwarzem Sand rundherum, ganz ohne Vegetation. Während in solchen Sumpflandschaften sonst eigentlich alle Steine und alle Bäche rostrot sind, fielen diese hier definitiv aus der Reihe. Also machte ich einen kleinen Abstecher und sah mir das genauer an. Bei genauerer Betrachtung handelte es sich um die Sinterablagerungen einer kleinen warmen Quelle, die oben aus den Steinen hervorquoll. Da dachte ich, ich ginge einfach nur querfeldein durchs Nirgendwo, und plötzlich sowas. Island ist eben voller Überraschungen.
Nachdem die Quelle zum Baden aber definitiv zu klein war, zog ich weiter, auf den nächsten Hügelzug hinauf. Beim Aufwärtslaufen hatte ich keinen freien Blick mehr auf die Fagrifjöll und schaute deswegen alle paar hundert Meter auf dem GPS nach. Laut den Satelitten kam ich jedenfalls wenigstens voran. Um mich herum war nun restlos nichts als Sand und Steine. Ein paar etwas größere Felsen, die auf einer Hügelkuppe standen, waren das einzige Orientierungsmerkmal. Wehmütig schaute ich zurück in die schöne grüne Senke, die ich durchquert hatte, so sumpfig sie auch war.
Nach einiger Zeit hatte ich wieder freie Sicht auf die Fagrifjöll und die Kverkfjöll weiter links. Hinter mir am Snæfell konnte ich einer dicken Regenwolke zuschauen, wie sie sich abregnete und weiter nach Norden zog. Auch hier bei mir hatte es sich ein bißchen zugezogen, und mit prallem Sonnenschein war schon lange nichts mehr. Trotzdem, der Wind kam aus Süden und der Regen blieb größtenteils am Vatnajökull hängen. Ich musste an Martin Hülle denken, den Skifahrer vom Campingplatz Höfn, der jetzt irgendwo dort oben unterwegs war. Sicher nicht sehr angenehm.
Für mich ging es zwar trocken und sicher, aber doch recht öde dahin. Die schwarze Landschaft zog sich, erst nach einer ganze Weile konnte ich vor mir das nächste breitere Tal erahnen. Dort musste die Sauðá nach Norden fließen, der selbe Bach, den ich am Tag zuvor bei der Kárahnjúkar-Baustelle durchwatet hatte. Als ich noch ein Stückchen weiter war, sah ich diesen Bach auch endlich und den Grund des Tales ebenso. Aber da war noch einiges mehr zu sehen, was ich nicht erwartet hätte. Auf der anderen Seite des Baches, mitten in der Landschaft, stand ein Jeep. Die nächste in irgendeiner Karte verzeichnete Piste war zwar noch etliche Kiloeter entfernt, aber nagut. Bevor ich den genauer anschauen konnte, musste ich sowieso erstmal durch die Sauða durch, und die hundert Meter Umweg wollte ich dann auf jeden Fall auf mich nehmen, wenn ich schon so zielsicher genau hierher gefunden hatte.
Unten beim Bach gab es ein kleines bißchen Grün und sogar einige mächtige Engelwurzstauden. Aber leider gab es keine Möglichkeit, trockenen Fußes auf die andere Seite zu kommen. Also hab ich meine Watsandalen angezogen und bin mit denen durch, war auch kein Problem. Danach bin ich in Richtung des Jeep losmarschiert. Als ich ein Stück aus dem Bachbett heraus war, konnte ich auch endlich erkennen, was der Jeep hier wollte. Mit gelben Steinen war eine breite Landebahn markiert. Aber ich konnte immer noch keine wie auch immer geartete Piste erkennen, die hierher geführt hätte. Als ich näher kam sah ich neben dem Jeep einen Benzinkanister liegen. Ich fand die Idee recht spassig, mitten im nirgendwo ohne Bezin dazustehen, und dann mal eben schnell zur nächsten Tankstelle zu laufen, um neues zu besorgen. Aber als ich dann durchs Fenster in den Jeep hineinschaute, sah ich noch fünf weitere Benzinkanister. Wahrscheinlicher also, daß da ein Hobbypilot am Werke war. Außerdem lagen im Jeep noch stapelweise originalverschweißte Bücher "Kárahnjúkar - með og á móti" von Ómar Ragnarssón. Ich hatte so einen Verdacht, welcher Hobbypilot hier wohl am Werke war. Schade, ich hatte den ganzen Tag noch keinen Flieger gehört, und zu sehen war auch weit und breit keiner. Ich hätte mich also höchstens neben den Jeep setzen können und warten. Wer weiß, wie lange.
Statt dessen zog ich nach einer kurzen Pause wieder weiter, es war schon weit nach Mittag und ich hatte noch etwa 10 km bis zum Grágæsadalur. Eine Piste gab es immer noch nicht, aber die Richtung war relativ einfach zu finden. Zunächst musste ich ein Stück bergauf, um aus dem Tal der Sauðá herauszukommen. Danach hatte ich freie Sicht auf die Fagrifjöll, auf deren Südende ich weiter zuhielt. Das war auch schon fast alles, was es zu sehen gab. Weiter links noch die markanten schneebedeckten Kverkfjöll, noch weiter links die weite Eisebene des Brúarjökull, hinter mir der Snæfell, und rechts von mir eine ganze Reihe von Hügelketten die sich in Richtung Norden dahinzogen.
Ich überquerte mal wieder eine namenlose, nirgends verzeichnete Piste, die von Nord nach Süd ging, dann einen kleinen Bach, der mit dem bißchen Grün außen herum eine wilkommene Abwechslung war, dann eine öde Kiesebene, bis ich plötzlich rechts und vor mir einige Holzstäbe entdeckte. Die offizielle Piste zum Grágæsadalur, die auch fast nirgends verzeichnet ist, aber ein Stück nördlich von der Brúardalarleið abzweigt. Ich hatte mich wohl ein Stück zu weit nördlich gehalten bei meinem Marsch querfeldein. Oder die Piste verlief einfach weiter südlich, als ich sie erwartet hatte. Aber nachdem Piste und Landschaft ohnehin gleich steinig waren, machte es auch keinen großen Unterschied mehr, wo ich jetzt entlangging. Und nachdem sich der "Verkehr" in Grenzen hielt, war mir die Piste eigentlich gar nicht so unsympathisch.
Von da an lief ich also auf der Piste entlang. Die machte im weiteren Verlauf tatsächlich einen weiten Schlenker nach Süden, um das Tal und das Quellgebiet der Fagridalsá zu vermeiden. Das war nach etlichen Kilometern nämlich die nächste größere Landmarke, an der ich mich orientieren konnte. Als ich das Tal durchquert hatte und gerade auf der anderen Seite wieder bergauf ging, überholte mich das erste Auto, seit ich auf diese Piste eingebogen war. Ein weißer Suzuki Jimney, normalerweise ein typischer Touristenmietwagen, aber hier in dieser Gegend? Ohne anzuhalten brauste er an mir vorbei. Aber nachdem das Grágæsadalur eine Sackgasse ist, war abzusehen, daß wir uns wieder begegnen würden.
Um mich herum war die ganze Zeit nichts als Staub und Steine. Hinter dem ausgetrockneten Tal der Fagridalsá ging es erst noch einige Kilometer geradeaus durch diese trockene Landschaft. Nachdem die Sonne langsam immer stärker zwischen den Wolken hervor kam, machte ich bei etlichen der größeren Steine am Wegesrand eine kleine Pause, und fragte mich zum ersten Mal, warum ich eigentlich keine Ersatzsonnencreme besorgt hatte. Aber mein Rücken war ohnehin schwer beansprucht und das bißchen Sonne würde mir wohl noch keinen Sonnenbrand einbringen. Es tat gut, den Rucksack auf den Stein zu stellen und dann zur Abwechslung mal im Tragegestell zu hängen, anstatt umgekehrt. Oft machte ich mir auch die Mühe, meine Trinkflasche vom Rucksack hervorzuangeln, und ich war froh, daß ich sowohl genug Wasser dabei hatte, als auch heute abend frisches Wasser finden würde.
Obwohl ich nur schleppend vorankam, erreichte ich recht bald das Grágæsadalur. Über eine letzte kleine Anhöhe ging es, dann stand ich neben einer zierlichen Steinwarte und vor mir öffnete sich das Tal. Ein kleiner, ausgetrockneter Bach floss noch etwa zwei Kilometer nach Süden und mündete dann in einen milchig trüben See Gletscherwasser, das markanteste Merkmal des Grágæsadals. Im unteren Teil des Bachlaufes und rund um den See war endlich wieder Vegetation zu sehen, Gras, Engelwurzstauden und Moospolster. Und als kleines Pünktchen am Seeufer war die Hütte zu sehen, zu der ich wollte.
Bevor die Piste dort ankam, machte sie noch einen Bogen nach Norden, um das obere Ende des Tals zu umfahren, und den Bachlauf an einer Stelle zu kreuzen, wo keine Vegetationsdecke beschädigt werden konnte. Und an einer Stelle, wo genaugenommen auch noch keine Spur von Wasser im Bach zu finden war. Auch das letzte Stück hielt sich der Weg in den staubig, steinig trockenen Bereichen, nicht quer durch das bißchen zarte Grün, das sich hier im Hochland hielt. Ich folgte dem Streckenlauf und kam langsam aber sicher zum Ziel meiner Tagesetappe.
Einen letzten kleinen Hügel ging es hinunter, dann noch über einen weiteren kleinen Bach, und schon stand ich am Parkplatz vor der Hütte. Geschafft stellte ich meinen Rucksack an die Hüttenwand und genoß erstmal ein paar Kekse. Mittlerweile war es richtig sonnig und warm geworden, man hätte sich glatt ins Gras legen und eine Weile vor sich hindösen können, wäre nicht der kalte Wind vom Gletscher heruntergekommen. Ein kleiner Garten war fein säuberlich neben der Hütte am Seeufer angelegt, eine perfekte Idylle.
Gern wollte ich in die Hütte, um dort zu übernachten. Aber leider war sie abgesperrt und verrammelt. Ein Schild war außen dran, frei übersetzt "Wegen der Sabotage am Kárahnjúkarstaudamm wird die Hütte, die 36 Jahre lang offen stand, ab sofort im Sommer abgesperrt". Ich war ziemlich erstaunt, was das wohl bedeuten sollte. Die Geschichte vom "protest camp" und von dessen Auflösung hatte ich ja mitbekommen, aber die Baustelle war etwa 50 km vom Ende dieser Sackgasse entfernt. Sehr sonderbar. Absperren sehe ich ja ein, aber wegen der Sabotage bei den Kárahnjúkar?
Aber nachdem ich sowieso wußte, daß die Hütte in Privatbesitz war, hatte ich von vorneherin nicht ganz damit gerechnet, innnen übernachten zu können. Und nachdem ich an dem Tag trotzdem nicht mehr allzuweit kommen würde, beschloss ich, mir einen Zeltplatz nebenan zu suchen. Ich war noch nichtmal richtig losgezogen, schaute nur zurück in Richtung Piste, da kamen mit mal zwei Jeeps in Richtung Hütte daher. Der eine war der weiße Jimney, der mir schon zuvor begegnet war. Er kam die Berge im Westen herunter. Dort endet auch der letzte Rest einer gedachten Verlängerung der Piste an der Kreppá, bzw. an einer "Furt", durch die sich angeblich schonmal wagemutige Isländer im Herbst und Winter auf die Krepputunga durchgeschlagen haben. In dem typischen Touristen-Jimney saß also bestimmt schonmal kein typischer Tourist, wenn er überhaupt etwas von der Furt wusste. Von der anderen Seite, also auf der Piste die ich auch entlanggekommen war, näherte sich ein richtiger Isländischer Jeep, mit dezenter Funkantenne und der kleinen Reifengröße. Daß gleich drei sich zur selben Zeit an so einem abgelegenen Ort treffen, darüber staune ich heute noch.
Der Jimney-Fahrer war ein recht netter, älterer Isländer, der mir gleich mal einen frischen Apfel anbot. Nachdem ich Vitamine sonst nur in Form von Brausetabletten dabei hatte, nahm ich dankend an. Im großen Jeep war ein auch schon etwas älteres Paar unterwegs, und während ich noch den Apfel aß, bestaunten die erstmal den Garten am Seeufer. Überhaupt verhielten sich die Isländer, als wäre so eine Begegnung das Normalste der Welt. Für mich waren es die ersten Menschen die ich an dem Tag traf. Als wenig später wieder alle bei den Jeeps standen und weiterfahren wollten, sprach man noch kurz über die Wege, Brücken und Furten. Ich war eher unbeteiligt an der Kommunikation, nachdem keiner der Isländer englisch konnte, und machte in Gedanken drei weitere Striche auf der Liste der nicht-englischsprachigen Isländer. Ein kurzes Lob für mein gutes Isländisch bekam ich noch, dann knallten die Türen zu und ich war wieder alleine. War mir in gewisser Weise auch lieber so.
Beim letzten Bach hundert Meter vor der Hütte fand ich einen schönen Zeltplatz. Dieser Bach war scheinbar sowieso die einzige Trinkwasserversorgung in der näheren Umgebung. Vom trüben Gletscherwasser aus dem See wollte ich lieber nichts probieren. Als ich mit in der windgeschützten Mulde endlich meine Nudeln kochte, war es schon recht spät. Die Sonne verschwand hinter dem Bergrücken und man merkte erst jetzt so richtig, wie kalt der Wind aus dem Süden war. Ich verkroch mich in meinen Schlafsack und lauschte dem Bach neben meinem Zelt. Wieder ein völlig anderer Klang als der von heute Morgen.

Bilder der Tages:

10. August 2005





Nachdem ich die letzten beiden Tage einigermaßenes Glück mit dem Wetter und Südwind hatte, erwartete ich eigentich fast schon, daß es am nächsten Morgen regnerisch und ungemütlich würde. Beim Aufwachen hörte ich zu meiner Überraschung aber noch keinen Regen ans Zelt klopfen. Eigentlich sah es draußen sogar gar nicht so schlecht aus. Immer noch Südwind. Ich machte schnell ein paar Fotos von meinem Zeltplatz, der jetzt morgens um so besseres Sonnenlicht hatte als er gestern abend im Schatten lag. Dann zog ich mich ins Zelt zurück und machte ein bißchen Frühstück und fing so langsam an zu Packen.
Als ich das nächste mal nach draußen schaute, gefiel mir das Wetter schon deutlich weniger gut. Immer noch kräftiger Südwind, fast schon Sturm, wenn ich aus meinem windgeschützten Tal herausschaute. Und von Süden kamen über den Gletscher hinüber dunkle Wolken gezogen. Zusammen mit der Windstärke konnte das eigentlich nur Regen bedeuten, zumindest für den Rest des Tages. Aber wenigstens mein Zelt packen und losmarschieren konnte ich noch bei trockenem Wetter.
Einen genauen Plan hatte ich für diesen Tag nicht. Ich wollte erstmal irgendwie zum Fagridalur, etwa 10 km nördlich von hier. Dort gab es das letzte Trinkwasser für die nächsten drei Tage, bis zur Askja, von einigen unzuverlässigen Regenwassertöpfen bei der Kreppábrücke mal abgesehen. Vom Fagridalur aus wollte ich so weit wie möglich nach Norden, in Richtung Brücke und Krepputunga. Die Pisten in der Gegend, z.B. die Brúardalaleið, machten alle riesige Umwege. Also musste ich wieder querfeldein gehen. Bloß wo? Am Abend zuvor hatte ich nochmal die Karten studiert, wobei diverse Widersprüche der verschiedenen Karten jetzt ein bißchen mehr Sinn ergaben, nachdem ich die Landschaft aus eigener Anschauung kannte. Erstmal musste ich wohl auf der Piste entlang zurück aus dem Grágæsadalur, bis zu der Stelle, wo ich gestern durch das trockene Bachtal gekommen war. Von dort aus wollte ich dann einfach mal nach Norden und schauen, wo ich rauskommen würde.
Mit dem starken Rückenwind ging sich das deutlich einfacher auf der Piste als gestern Nachmittag. So schnell wie der Wind die Wolken nach Norden peitschte war ich aber doch nicht ganz. Als ich in der letzten Nordkurve meines gestrigen Tagesmarsches angekommen war, hatten mich die Wolken gerade so überholt, aber es regnete immerhin noch nicht. Lange konnte es nicht mehr dauern, bis ich den Wettlauf verlor.
Bei der Kurve fand ich jetzt auch ein paar Jeepspuren, die weiter in Richtung Norden führten. Markierungspflöcke gab es keine mehr, nur noch ein Paar sehr schwacher Spuren. Denen folgte ich, die Richtung war gar nicht so schlecht. Verzeichnet war dieser Weg aber in keiner meiner Karten, so daß ich halbwegs damit rechnete, recht bald z.B. an einer dieser Furten zu stehen, wo sich im Herbst oder Winter schonmal ein Isländer durch die Kreppá zu fahren getraut hat. Aber dann könnte ich mir ja immer noch einen besseren Weg suchen. Sehr verlockend war natürlich der Einschnitt des Fagridalurs, wo ich wohl die Fagrifjöll im Osten umgehen konnte. Dafür hielt sich die Piste bisher aber etwas zu weit westlich.
Während ich so dahinmarschierte und zum einen die Piste zu verfolgen versuchte, zum anderen den weiteren Weg plante, hatte ich gar keine Augen mehr für das Wettergeschehen hinter mir. Hoch über mir war es mittlerweile komplett grau, und die etwas tieferhängenden Wolken krochen auch so langsam über den Gletscherrand. Heute morgen und gestern hatte ich die Kverkfjöll noch gut im Blick, aber heute waren sie schon in den Wolken verschwunden.
Die Piste verlief bald immer höher am Hang entlang, während ich rechts von mir ins Tal der Fagridalsá hinunterschauen konnte. Irgendwann bog sie dann nach Westen ab, und ich beschloss, meinen eigenen Weg zu suchen. Ich hielt mich rechts den Hang hinunter, überquerte ein kleines moosiges Bachtal und kam gerade als es sich zu einer grasbewachsenen Ebene weitete unten im Fagridalur an. Laut Karte und dem, was ich auf meiner Radtour von der Brúardalaleið aus schon vom Tal gesehen hatte, verlief dieses in einem scharfen Bogen weiter nach Norden und Westen und mündete dann in die Kreppá. Als ich jetzt unten am Talgrund stand, sah alles ein bißchen anders aus, und ich konnte mich nicht so recht orientieren, an welcher Stelle genau ich eigentlich war. Und außerdem stimmte das GPS nicht mit meinem natürlichen Orientierungssinn überein. Alles sah von hier unten einfach völlig anders aus, als von der Piste oberhalb des Tales.
Jedenfalls stand ich sehr bald an einem Geflecht von kleinen Bächen, die die Fagridalsá bildeten. Trockenen Fußes kam ich nicht hinüber, aber mit den Watsandalen völlig problemlos. Während ich am anderen Ufer wieder die Schuhe anzog, überlegte ich, ob ich noch eine Weile am Fluss entlang laufen wollte, dann Wasser tanken und nach Norden abbiegen, oder ob ich gleich Wasser tanken und auf trockenere Gefilde im Norden ausweichen wollte. Nachdem sich etwas weiter flussab das Tal noch mehr weitete und ich schon wieder drohende leuchtend weiße Wollgrasbüschel sah, entschied ich mich für letztere Variante. Also den Wassersack hervorkramen und auffüllen. Wieviel Wasser braucht man wohl in drei Tagen? Naja, erstmal reichlich voll machen und mal sehen, wie schwer das wird. Und vor allem, wo man den prallen Wassersack am geschicktesten unterbringen könnte. Unten ist schlecht beim Abstellen, hinten ist schlecht wegen Gewichtsverteilung, und ganz oben hält sich so ein schwabbeliges Ding irgendwie nicht. Schließlich hab ich ihn unters Deckelfach gesteckt, auf die Gefahr hin, daß mein bisher so schön trockener Rucksack vielleicht doch mal innen naß werden könnte.
Beim Aufsetzen dachte ich mir gleich, das sei viel zu viel Wasser, ich müsste doch auch mit weniger auskommen können. Aber ich machte mich trotzdem tapfer auf den Weg. Über trockene Wiesen zum Rand des Tales hin und in Richtung Norden, das war der Plan. Trockene Wiesen zum Rand des Tales hin hätte es gegeben, aber das war dann eher Richtung Osten als Norden. Also nahm ich ein bißchen sumpfigere Wiesen in Kauf und folgte treu der Richtung aus dem Satellitenorakel. Mein eigener Orientierungssinn war sowieso schon restlos durcheinandergekommen. Eigentlich erwartete ich, daß das Fagridalur einen schönen weiten Bogen beschreiben würde. Aber der Bogen nahm und nahm kein Ende, die Kreppá am westlichen Ende des Bogens war auch nicht in Sicht. Entweder das GPS oder die Landschaft war falsch.
Mir wurde das alles ein wenig unheimlich. Bei einem ausgetrockneten Zufluss zur Fagridalsá machte ich eine Rast, leerte erstmal wieder den halben Wassersack aus, und marschierte dann schnurstracks auf den Rand des Tales zu. Ein bißchen bergauf, dann hat man bestimmt einen besseren Überblick. Und damit ich nicht gar so viel schleppen muss, werd ich die nächsten Tage noch sparsamer als sparsam mit dem Wasser sein. Bei der beeindruckend engen Nebenschlucht, aus der mein ausgetrocknete Bachlauf kam, fand ich eine schöne Stelle, um aufzusteigen und das Fagridalur zu verlassen. Beim ersten Anblick zwei Jahre zuvor, bei Sonnenschein und blauem Himmel hatte es so einladend gewirkt. Heute bei tristem grauem Himmel und düsterem Licht war es mir irgendwie unheimlich.
Tatsächlich machte vom Talrand aus betrachtet aber alles wieder ein bißchen Sinn. Vor allem konnte ich die Kreppá erkennen, und die Größe des Talbogens überblicken. Der grüne Talgrund reichte einerseits sehr viel weiter nach Süden und die Kreppá war andererseits gar nicht mehr so weit, wie es vom Talgrund aus den Anschein hatte. Und nachdem ich mich mit dem Wasser schon so abgeschleppt hatte, machte ich zur Belohnung gleich mal wieder eine längere Pause und ein paar Fotos.
Fern im Norden konnte ich einen einsamen Gipfel erkennen, der die übrigen Höhenzuge gerade so überragte. Ungefähr genau in dieser Richtung musste die Kreppábrücke sein, genaugenommen hinter diesem Berg. Ich hatte also ein Ziel, auf das ich den restlichen Tag zulaufen konnte. Auch wenn es noch so endlos weit weg zu sein schien. Nach einem letzten Blick aufs Fagridalur schulterte ich den Rucksack und marschierte los.
Hatte ich eigentlich erwähnt, daß es irgendwann unterwegs ganz langsam und schleichend zu regnen angefangen hatte? Ich weiß bis heute nicht so ganz genau, ob das schon vor dem Fagridalur war, oder erst dahinter, jedenfalls war bald alles ziemlich nass, und die Regenwolken hatten spätestens jetzt ihren Wettlauf gewonnen. Ich lief mit Kapuze und in wasserdichtem Überzeug durch die Regenschleier hindurch, schaute ihnen manchmal auch nur zu, wie sie sich irgendwo neben mir abregneten, und nahm sie bald gar nicht mehr richtig wahr.
Um mich herum war im wahrsten Sinne des Wortes Nichts. Die Wolken hatten mittlerweile sämtliche Berggipfel verschlungen. Eigentlich wären links von mir mit Herðubreið, Upptyppingar und Dyngjufjöll mehr als genug markante Berge, aber zu sehen war keiner von denen. Vor mir konnte ich gerade noch meinen Gipfel erkennen, auf den ich zuhielt. Rechts waren nur Nebel, Wolken und namenlsoe flache Hügelzüge zu sehen. Wenn ich anhielt und mich umdrehte, konte ich hinter mir noch lange die Fagrifjöll sehen und die enge Schlucht westlich davon, durch die die Kreppá floß, die ich so lange nicht gesehen hatte. Jetzt sah ich sie endlos lange, als käme ich überhaupt nicht von der Stelle. Zu meinen Füßen war nur schwarzer Sand und Kies. Kilometerweit. Ich freute mich auf jeden etwas größeren Stein, den ich vor mir fern auf einem Hügel sah. Ich kam näher und näher, und als ich da war, war es doch nur ein etwas größerer Stein, auf dem ich mit Glück meinen Rucksack mal kurz abstellen konnte.
Ich hab unterwegs irgendwo das Zeitgefühl verloren, und auch das Gefühl für Raum und Entfernungen. Es war dauernd gleich hell, keine Sonne zog über den Himmel, keine Schatten zogen ihr hinterher. Das GPS zählte irgendwelche Kilometer, 15, 18, 20, 22... der Gipfel vor mir war unverrückbar immer an der selben Stelle.
Zur Abwechslung lagen zwischen den schwarzen Steinen irgendwann später auch ein paar helle Steine am Boden, Bimsstein. Bestimmt kamen die von der Askja und waren beim Ausbruch so weit geweht worden. Meistens lagen die Bimssteine in zusammenhängenden Flächen da, große trüb-helle Flecken auf schwarzem Grund. Irgendwann wurden das immer mehr und größere solche Sammlungen. Schließlich musste ich kleine "Bachläufe" der Bimssteine durchqueren. Bäche aus Bimsstein anstatt Wasser, die hinunterflossen in Richtung Kreppá. Das knirscht so schön unter den Schuhen. Ansonsten ist nur das Prasseln des Regens zu hören.
Nach einem schier endlosen Weg durch dieses Nirgendwo, kam ich plötzlich über eine letzte kleine Anhöhe. Vor mir ging die Landschaft nicht mehr ganz so eintönig weiter, wie bisher. Der Berggipfel, auf den ich die ganze Zeit über zumarschiert war, war plötzlich zum Greiffen nah vor mir. Ein etwas tieferes und breiteres Tal voll hellem Bimsstein musste ich noch durchqueren, drüben könnte ich den steilen Stufen eines ausgetrockneten Bachlaufes folgend, das Tal wieder verlassen, und wenn ich wollte geradewegs weiter auf den Gipfel klettern. Nach links öffnete sich das Tal und ich hatte halbwegs eine Aussicht auf die flache Ebene der Krepputunga. Zumindest konnte ich zwischen den tiefhängenden Regenwolken die beiden Flußläufe von Kreppá und Jökulsá á Fjöllum erahnen, und dazwischen eine weite helle Bimmsteinebene. Dort wollte ich nach Plan morgen alles wieder zurück nach Süden laufen, der einzige Weg über die beiden Flüsse ging über die Brücken auf der Piste F910.
Erstmal durchquerte ich aber mein vergleichsweise kleines großes Bimssteintal, kletterte drüben im Bachlauf wieder hinaus, und freute mich, daß der nasse Bimsstein eine feste, kompakte Masse bildete, die nicht bei jedem Schritt den halben Hang hinunterrutschte. Oben war wieder eine flache, schwarze Steinwüste, wie die vielen Kilometer zuvor. Irgendwie wirkte sie aber unberührter auf mich, und belebter, ohne daß ich das an einem zarten Grashalm konkreter hätte festhalten können.
Ich lief in dem kleinen Hochtal zwischen einigen Gipfeln dahin. Das GPS behauptete, ich wäre heute schon 26 km unterwegs, was mich zwar ein wenig überraschte, was aber auch sehr gut zu den leichten Rückenschmerzen passte. Hier sah alles so trostlos aus, dem Wind schutzlos ausgeliefert, daß ich wohl zwangsläufig noch ein kleines Stückchen weiter musste. Ich lief Richtung Norden, bis ich schließlich bei 26.8 km einen kleinen natürlich ausgetrockneten Bachlauf fand, der in einer engen Schlucht zwischen ein paar Felsen von meiner Hochebene hinunterführte. Dort war ich wenigstens etwas windgeschützt, und hatte auch noch einen kleinen Flecken ebenen Boden. Der bestand zwar nur aus allen möglichen hell und dunkel gefärbten Steinen, war aber allemal besser als ein Zeltplatz am Hang.
Ich ließ den Rucksack zu Boden fallen. Eigentlich konnte es auch nicht mehr weit zur Piste F910 sein und zur Kreppábrücke. Ich überlegte kurz, machte dann einen kleinen Ausflug ohne Gepäck, um besser vom Hang hinunterschauen zu können, sah aber trotzdem nur ein weiteres Tal und einen weiteren Berg und keine Kreppá. Also war mein öder Flecken Stein wohl das beste, was ich heute noch erhoffen könnte. Das Zelt stand im Nu und ich war dankbar, daß ich so viele Steine um mich hatte, von denen ich noch einige auf die Heringe legen konnte. In dem losen Bimsstein- und Sandgemisch wollten die von alleine nicht so richtig halten. Wenn der Wind weiter aus Richtung Süden kam, würde ich in meinem Bachtal sowieso nicht viel davon abbekommen.
Ich kochte minimalistisch Boil-in-the-bag Reis und war wiedermal froh, daß mein stinkender Benziner auch bei Regen problemlos draußen funktionierte. Das Kochwasser konnte ich dann noch zum Zähneputzen verwenden. Nachdem ich bei dem vielen Regen auch nicht richtig durstig war, kam ich so mit einem knappen Liter Wasser am Tag aus. Meine Reserven waren allemal ausreichend bis zur Piste, die ich morgen sicher erreichen würde, und wenn es morgen plötzlich heiß und trocken werden sollte, könnte ich bestimmt ein paar Autofahrer anbetteln. Bei so sparsamen Tagen wie heute hätte ich aber auch noch mehr als genug Reserven bis zur Askja.
Spät abends schaute ich nochmal aus dem Zelt heraus. Mittlerweile hatte der Regen einigermaßen aufgehört, ich saß dafür in einer recht dicken Nebelsuppe. Irgendwie fühlte ich mich nun doch richtig wohl mit meinem winzig kleinen leuchtend blauen Punkt mitten in Stein und Nebel, in absoluter Einsamkeit und Stille. Trotzdem war die Nacht ein bißchen unangenehm. Meine selbstaufblasende Isomatte bekam nach vielen Touren treuem Dienst das Luftballonsyndrom. Ich ließ ein bißchen Luft ab, um nicht auf einer Beule schlafen zu müssen, aber dem Schlafkomfort war das nicht gerade dienlich.

Bilder der Tages:

11. August 2005
Krepputunga







Am nächsten Morgen war das erste, was ich wahrnahm, daß meine Füße vom der gestrigen Monsteretappe immer noch ein bißchen wehtaten. Also hab ich mich nochmal umgedreht und eine Weile länger geschlafen. Als auch das nicht wirklich half, machte ich mich doch endlich ans Frühstück, trockenes Müsli ohne Wasser, und ohne Milch natürlich sowieso. Danach gings ans tägliche Packritual, wobei ich schon längt für jedes Teil auswendig den richtigen Platz finden konnte.
Auf meinen vielen Karten hatte ich ausfindig gemacht, daß die Kreppá-Brücke wohl einigermaßen richtig im GPS verzeichnet war, und ich nur noch von meinem Berg runter und über den nächsten Hügel hinüber müsste, um direkt davor zu stehen. Nachdem heute auch wieder ein bißchen Sonnenschein zu sehen war, machte ich mich also frohen Mutes und mit schmerzenden Füßen auf den Weg.
Ich folgte nicht dem steilen Bachlauf hinunter, neben dem ich gezeltet hatte, sondern lief am deutlich flacheren Hang daneben entlang. Auf dem nächsten Hügel war ich schnell oben, aber der zog sich dann etwas. Oder wahrscheinlich kam mir das nur so vor, weil ich endlich wissen wollte, ob dahinter wirklich die ersehnte Brücke war. Erst langsam kam ich wieder richtig in Fahrt und genoß eher die Landschaft um mich herum, anstatt mir dauernd über das Wohin Sorgen zu machen. Im Norden hatte ich einen schönen Blick aufs Arnardalur, ein weites ebenes Tal, das auf beiden Seiten von langgezogenen Nord-Süd-Bergrücken begrenzt wurde. Hyaloklastische Rücken, erinnerte ich mich an die eine oder andere Geologie-Vorlesung die ich mal besucht hatte. Nach Norden ging das so weiter bis Möðrudalur und zur Ringstraße. Auch wenn ich keines von beidem sah, genoß ich das Panorama.
So fand ich es dann schon fast ein bißchen schade, als es wieder bergab ging, und die Aussicht zusehends schlechter wurde. Exakt und auf geradem Wege vor mir war natürlich die Kreppá-Brücke, besser hätte man überhaupt nicht hinfinden können. Bergab ging es wieder durch mehr und mehr Bimsstein, ein paar gröbere Lavabrocken, schließlich stand ich auf der Piste, F910. Schon von weitem hatte ich sie gesehen, wie sie sich durch die Lavafelsen windet. Sah immer noch genauso aus, wie auf meiner Radtour vor zwei Jahren, ein bißchen Sand und viel Wellblech. Eine letzte große Kehre führte mich durch die Basaltfelsen, dann stand ich an der Brücke. Pause war angesagt. Eigentlich war ich noch nicht lange unterwegs, aber der Flecken war so einladend. Eine ganze Weile schaute einfach nur dem Tosen der Kreppá zu.
Von hier aus waren es etwa 25 km auf der Piste bis zur Brücke über die Jökulsá á Fjöllum, oder vielleicht ein bißchen weniger, wenn man sich einen Weg querfeldein suchte. Dazwischen lag jedenfalls die Krepputunga, und dort gab es nur Sand, Bimsstein und ein paar wenige Basaltfelsen. Offiziell ist dort auch das Zelten verboten. Für Wanderer und Radfahrer, die keine andere Möglichkeit haben, wird sicherlich eine Ausnahme gemacht, aber es ist trotzdem nicht zu empfehlen. Gelegentlich hat sich nämlich durch vulkanische Aktivität so viel Schmelzwasser unter dem Gletscher gesammelt, daß sich das schlagartig in einem Gletscherlauf entleert. Und dann kann schonmal ohne Vorwarnung über Nacht der Wasserspiegel der beiden Flüsse ein ganzes Stück steigen, mit nicht ganz ungefährlichen Nebenwirkungen für Wildzeltende.
Nachdem ich eine Weile an der Kreppa gesessen habe, wurde mir kalt im Wind. Eine Wolke hatte sich vor die Sonne geschoben und es fing auch prompt ein wenig zu tröpfeln an. Also machte ich mich auf den Weg, möglichst weit über die Krepputunga zu kommen und dann irgendwo bei der nächsten Brücke zu campieren. Am anderen Flussufer ging es zunächst in vielen Kurven und Windungen durch das restliche Lavafeld. Als ich an dessen Ende angekommen war, hatte ich endlich einen halben Blick auf den Herðubreið, an dessen Nordseite noch eine Menge Wolken festhingen. Eigentlich kamen Wind und Wolken aus Süden, es hatte sich also zum größten Teil schon auf der anderen Seite des Vatnajökull abgeregnet. Hier konnte ich den restlichen Wolken zuschauen, wie sie an diesem oder jenen Berg hängenblieben und sich vollends entleerten, während dazwischen die sonnigen Abschnitte immer größer wurden. Regenbogenwetter.
Nachdem ich eine Weile Richtung Süden unterwegs war, sah ich auf der linken Seite das kleine weiße Wetterhäuschen, dessen Daten man live auf der Internetseite des Vegagerðinn abfragen konnte. Auch ansonsten mehrten sich wieder die Anzeichen der Zivilisation. Alle halbe Stunde kam mal ein Auto vorbei, es wurde kurz nach draußen gewinkt. Es waren auffällig viele deutsche Kennzeichen dabei, und fast alle fuhren Richtung Süden. Donnerstag, die Fähre aus Hanstholm war wohl heute morgen angekommen.
Ich marschierte weiter, alle fünf Minuten mit anderem Wetter, mal Regen mal Sonnenschein. Aber meistens stand ich im Regen und freute mich, daß ich ja ganz genau auf die trockene Stelle vor mir zumarschierte. Ich hielt mich an die Piste und folgte ihr durch ein weiteres Labyrinth von Lavafelsen. Im Süden ragte die riesige Pyramide der Upptyppingar auf, die mir schon auf meiner Radtour vor zwei Jahren der markanteste Wegweiser war. Genau südlich davon war die nächste Brücke, mein Etappenziel, und so aus der Ferne betrachtet schien das noch endlos weit zu sein.
Aber ganz langsam, Schritt für Schritt kam ich auf die Ostseite der Pyramide. Die Piste führte hier schnurgerade über eine Geröllebene nach Süden auf den Lónshnjúkur zu. Hinter diesem Berg floß die Kreppá entlang und irgendwo dahinter lag auch die Abzweigung ins Fagridalur, das ich von hier aus nicht sehen konnte, an das ich aber bei jedem Schluck aus meiner Trinkflasche dachte. Außerdem konnte ich die Höhenzüge sehen, auf denen ich gestern so lange unterwegs gewesen war, die Berggipfel, an denen ich mich so lange orientiert hatte und bei denen ich heute morgen aufgebrochen war.
Ganz langsam kam ich zum Lónshnjúkur, an dessen Fuß sich einige zarte Grashalme im Sand halten konnten. Diesen Abschnitt hatte ich dann von meiner Radtour irgendwie anders in Erinnerung. Es ging wieder in ein Labyrinth aus Lavafelsen und die Piste hielt sich nach meinem Orientierungssinn viel zu weit nach Westen. Auf der Karte betrachtet, so hab ich später festgestellt, hätte ich von hier aus auch querfeldein geradewegs nach Westen laufen können, dann wäre ich genau zur Brücke gekommen. Aber nachdem ich zwar schon eindeutig ein bißchen geschafft war, aber an sich noch ein ganzes Stück weiter laufen konnte, lief ich einfach stur auf der Piste weiter. Seit Mittags war der Verkehr drastisch weniger geworden, stundelang begegnete mir kein Auto mehr.
Schließlich war ich auch durchs dritte Lavafeld hindurch und hielt auf den nächsten markanten Hügel zu. An den konnte ich mich von meiner Radtour noch allzugut erinnern, denn an dessen Nord- und Westflanke war ein ewiges Sandloch. Auch wenn es heute wechselhaft und eher regnerisch war, der Sand war von Autoreifen tief durchwühlt und sehr locker. Eine typische Schiebepartie, aber ich war ja sowieso schon zu Fuß hier. So sandig blieb das auch, bis ich in der Ferne endlich die Abzweigung F903 nach Hvannalindir und zu den Kverkfjöll sah.
Es war schon ziemlich spät, als ich dort ankam, und mir taten Füße und Rücken langsam ziemlich weh. Etwa 25 km hatte ich geschafft an dem Tag, und laut Wegweiser waren es noch 28 km bis zur Askja. Also machte ich mich nach einer kurzen Pause gleich wieder auf die Socken, damit ichs morgen nicht mehr ganz so weit hätte. Ich folgte weiter der F910, die jetzt nach Westen und ein Stück weit nach Norden verlief. Sehr bald hatte ich dabei den Sand hinter mir gelassen und war wieder auf losem Geröll und Basaltfelsen unterwegs. Und sehr bald stand ich schon an der nächsten Kreuzung, wo die F902 nach Süden zu den Kverkfjöll abzweigte.
Jetzt abends war wieder deutlich mehr Verkehr unterwegs, man hatte den Abstecher ins Hochland gemacht und abgehakt und konnte jetzt schnell dem nächsten Ziel entgegenfahren. Oder zurück zum Hotel. Oder was weiß ich. Jedenfalls hatten es alle eilig und kaum jemand winkte mir auch nur.
Aber allzulange wollte ich auch nicht mehr unterwegs sein. Nach der Kreuzung mit der F902 machte die Piste einen langen Bogen nach Norden. Man hörte schon das Rauschen der Jökulsá á Fjöllum, des längsten Gletscherflusses in Island, oder so. Neben der Piste gab es einige mächtige Felsen, und ich überlegte mir, dort einen schönen Zeltplatz zu suchen. Andrerseits hatte ich mir fest vorgenommen, zumindest noch die Brücke zu sehen, bevor ich heute campierte. Also ging ich weiter und weiter.
Nach einer letzten Biegung sah ich sie dann endlich nicht weit unter mir und ganz in der Nähe. Hier hatte ich aber keine schönen Felsen mehr zum Zelten. Also konnte ich genausogut noch ein Stückchen weiter, über den Fluß hinüber, und mir drüben was suchen. So stand ich schon bald auf der Brücke, die keinen so gemütlichen Rastplatz in Lavafelsen bot, wie die Kreppabrücke. Aber die Wassermassen waren genauso imposant und mahnten an, weiterzugehen. Auf der Westseite der Brücke sucht sich die Jökulsá scheinbar seit längerem einen neuen Weg um die Brücke herum. Schon vor zwei Jahren musste ich hier durch eine kleine Furt hindurch. Heute suchte ich eine ganze Weile, denn auf nasse Füsse hatte ich heute keine Lust mehr. Schließlich fand ich weiter rechts einige Steine, auf denen ich ganz gut hinüberkam.
Die Piste ging nun in mehreren Stufen aus Bimsstein vom Flußbett aus nach oben. Wahrscheinlich entsprach jede Stufe dem Wasserstand bei einem Gletscherlauf. Ich lief noch drei Stufen und etwa 500m weiter, am Rand der vierten Stufe fand ich eine kleine Mulde, die mir wenigstens ein kleines bißchen Windschutz bieten würde. Mein Kilometerstand war mittlerweile knapp über 30 km angekommen, und viel weiter konnte ich auch mit allen psychologischen Tricks nicht mehr. Also hab ich kurzerhand hier ein paar Schritte neben der Straße mein Zelt hingepflanzt.
Es wurde schon langsam dämmrig, als ich mit meinem spärlichen Wasser das Abendessen kochte. Ich war überrascht, mit wie wenig ich wieder auskam. Ein Reservetag bis zur Askja wäre noch drin. Aber eigentlich konnte das gar nicht mehr so lange dauern, nachdem ich gestern 27 km und heute über 30 km geschafft hatte, und es laut letztem Wegweiser nur noch etwas über 20 km sein müssten. Und wenn das Wetter morgen mitmachte und ich Lust hätte, könnte ich auch den direkten Weg gehen, anstatt dem Umweg auf der Piste zu folgen. Alles in allem war ich also ziemlich zufrieden und hatte das Gröbste geschafft.
Als ich spät abends nochmal aus dem Zelt schaute, hatte ich mal wieder einen typischen spektakulären Sonnenuntergang. Über der Jökulsá im Osten stand ein dünner Regenbogen über dem hell leuchtenden Bimsstein. Im Süden waren mittlerweile wieder die Kverkfjöll zu sehen und auf derem markanten Hang ein einzelner leuchtend roter Fleck, der durch eine Wolkenlücke durchkam. Über der Askja hatten sich dichte Wolken gesammelt, die in vielen Rot- und Blautönen von hinten angestrahlt wurden. Und hinter den Pyramiden der Upptyppingar leuchtete es in warmem Gelb.

Bilder der Tages:

12. August 2005
zur Askja



Eigentlich hatte ich recht angenehm geschlafen, dafür daß ich direkt neben einer Straße campierte. Zwei Autos waren gestern spät abends noch vorbeigekommen. In der Ferne hörte ich dagegen das beständige Rauschen der Jökulsá, das mich viel mehr störte. Nachdem ich mir schon die ganze Zeit Gedanken über Gletscherläufe machte, schaute ich mehrmals beunruhigt nach draußen, als sich das Rauschen irgendwie verändert hatte. Mir fiel wieder das ruhige Plätschern der Bäche ein, an denen ich gezeltet hatte, das war viel angenehmer.
Aber am nächsten Morgen war ich natürlich nicht weggespült worden. Die ersten Autos kamen vorbei und weckten mich mit ihrem Lärm. Als der Verkehr immer regelmäßiger wurde, machte ich mein Frühstück und wagte dann einen ersten Blick nach draußen. Nebel. Etwa 10 Meter über dem Boden war eine kompakte weiße Suppe. Dementsprechend windstill war es auch die ganze Nacht über gewesen, was mir mit meinem Zelt auf dieser offenen Ebene ganz recht war. Ich beschloß, das mit dem querfeldeingehen bei derartigen Sichtverhältnissen lieber auf ein andermal zu vertagen. Wenn ich die Wahl hab, den ganzen Tag nach GPS zu gehen oder den ganzen Tag auf einer Piste zu gehen, war mir die Piste doch noch ein bißchen lieber. Alternativ hätte ich von hier aus auch nordwärts nach Herðubreiðarlindir gehen können und von dort aus in einem Schlenker zurück zur Askja. Eine der optionalen Stellen, falls ich überraschend in meinem Rucksack noch Proviant für zwei weitere Tage finden würde, was nicht der Fall war.
Ich packte also zusammen und marschierte bald darauf los in Richtung Askja. Meine Füße taten mir noch von gestern oder vorgestern weh, und nachdem es außer Nebel nicht viel zu sehen gab, schaute ich dann doch immer wieder aufs GPS, wie weit ich schon wäre. Ich kam ewig nicht voran. Und die Landschaft war langsam auch langweilig. Bimsstein, wie ich ihn schon gestern den ganzen Tag hatte.
Außer mir war plötzlich fast niemand mehr unterwegs, nur sehr selten kam mal ein Auto vorbei. Die meisten waren wohl schon früh aufgebrochen, schnell zum nächsten Hochlandpunkt, der abgehakt werden musste. Nach gut zwei Stunden stand ich an der nächsten Kreuzung unterhalb von einem flachen Hügelzug, deren Gipfel ich vor lauter Nebel nicht sehen konnte. Die Herðubreiðartögl. Hier endete die F910 zeitweise und ich bog auf die F88 ein, in Richtung Askja. Erst hinter den Dreki-Hütten wird die Piste wieder zur F910 und zur berüchtigten Gæsavatnaleið. Aber bis dort hatte ich noch eine ganze Weile Zeit.
Am Fuß der Herðubreiðartögl ging es wieder in vielen Kehren durch ein kleines Lavafeld, und die vielen Felsen boten zahlreiche Gelegenheiten, den Rucksack mal kurz abzusetzen. Aber die Lavafelsen waren hier weniger hoch als gestern auf der Krepputunga. Oder eine dickere Schicht Bimsstein verbarg einen grösseren Teil der Felsen. Außerdem waren die Felsen hier zackiger, spitzer und somit wohl auch jünger als die gestrigen. Je mehr ich um die Herðubreiðartögl herum kam, desto flacher wurde die Landschaft, mit einigen vereinzelten Basaltfelsen, die wie Finger aus der weißen Ebene ragten. Die Einflugschneise der Bimssteine von der Askja, sozusagen.
Vor mir am Horizont konnte ich jetzt die Dyngjufjöll wie eine breite Wand aufragen sehen. Und genau dorthin führte die Piste. Ich wunderte mich ein bißchen, weil ich grade eben noch nicht viel anderes als Nebel gesehen hatte, und jetzt plötzlich so eine gute Fernsicht hatte. Als ich mich umschaute merkte ich, daß ein schwacher Nordwind immer mehr Lücken in die Wolkendecke riß. Südlich der Upptyppingar hielten sie sich noch eine ganze Weile, aber auf der weiten Strecke, die ich von dort nach Westen gelaufen war, schien mittlerweile die Sonne.
Im übrigen war auf der F88 viel mehr Verkehr unterwegs als auf der Strecke von heute Morgen. Mehrere Reisebusse kamen aus beiden Richtungen und von Süden kamen gelegentlich "alte Bekannte", die mich am Tag zuvor auf der Krepputunga überholt hatten, und grüßten freundlich durch die Scheibe. Sogar drei Radler überholten mich, hielten aber nicht für ein Schwätzchen an.
Je weiter ich kam, desto mehr konnte ich auch hinter die Herðubreiðartögl schauen. Auffällig war der Vikrafell, auf den die Piste ziemlich genau zuhielt. Weiter nördlich reihten sich verschiedene andere Gipfel aneinander, deren Namen ich nicht kannte. Aber sie gefielen mir, denn sie lagen allesamt im Sonnenschein. Langsam hatten sich die letzten Wolken alle vor den Dyngjufjöll versammelt, und dort sah es im Moment sehr regnerisch aus. Und ich ging genau in diese Richtung.
Der Weg zog sich noch eine ganze Weile dahin. Als ich laut GPS noch etwa 4 km Luftlinie hatte, hielt ein Wagen neben mir und mir wurde angeboten, doch mitzufahren. Aber ich hatte sowieso schon den größten Teil der Tagesetappe hinter mir, dann könnte ich den kleinen Rest auch noch bewältigen. Also lehnte ich dankend ab.
Ich konnte in den düsteren Regenschleiern langsam auch die Drekagíl ausmachen, an deren Ausgang die Hütten lagen, die mein Ziel darstellten. Und kurz vor dem Ziel wurde die Landschaft auch wieder abwechslungsreicher. Es gab ein paar kleinere Hügel, wiedermal Lavafelsen, die verbargen, was hinter der nächsten Kurve wartete, und ein paar größere Steine am Wegesrand, die zu einer kleinen Pause einluden. Bald kam ich an einem kleinen grünen Schild vorbei, das auf Fußhöhe neben der Piste stand. Als Autofahrer hat man wohl keine Chance, das zu entdecken, aber hier kam der Wanderweg vom Bræðrafell heraus, auf dem man in zwei Tagen zum Herðubreið laufen konnte, die mögliche Alternativstrecke. In der anderen Richtung sollten es noch 2 km zur Dreki-Hütte sein.
Über einen kleinen Hügel ging es noch, dann sah ich die Hüttensiedlung schon. Zwar noch ein Stück entfernt, aber im wahrsten Sinne des Wortes überschaubar. Das letzte bißchen ging es nochmals bergauf und bergab, in den Tälern gab es noch zwei kleinere Bäche, die ich problemlos auf Steinen überqueren konnte. Dann war ich nah genug, Details an den Hütten zu erkennen. Ein Reisegruppeneinheitszeltlager fiel mir als erstes auf, weil ich sowas die ganze Reise noch nicht gesehen hatte. Außerdem war eine neue Hütte zu der alten spitzen Dreieckshütte, dem Waschhäuschen und den verschiedenen Landwärterhütten dazugekommen. Auf dem Parkplatz davor standen einige Jeeps, um die herum geschäftiges Treiben herrschte. Naja, ich sah jedenfalls mehr Menschen auf einem Haufen als ich sie in den sechs Tagen seit dem Snæfell insgesamt gesehen hatte. Zivilisation!
Mittlerweile war ich auch in den Regen gekommen, der sich rund um die Askja hielt. Alles rund um die Hütten war nass, aber mein Regenzeug hielt dicht. Ich lief erstmal zur alten Hütte, die ich noch von meinem letzten Besuch kannte, und stellte dort meinen Rucksack ab. Laut GPS war ich heute lediglich knapp 25 km gelaufen, also ein bißchen weniger, als die beiden Tage davor. Trotzdem mehr als genug, und mir tat alles weh. Vor allem die Füße. Für morgen war ein Pausetag eingeplant.
Erstmal ging ich ohne dem schweren Rucksack zur Hüttenwärterhütte, auf der eine etwas gestresst dreinblickende Isländerin Dienst hatte. Mein Vorratspaket war angekommen, aber ich musste noch aus einem mir nicht ersichtlichen Grund ein paar hundert Kronen nachzahlen. Das hatten die in Reykjavík ja toll organisiert, die Vorratsverschickerei! Außerdem zahlte ich vorerst für eine Übernachtung, dann schaute ich in die alte Dreki-Hütte. Im Vorraum pellte ich mich aus meinem Regenzeug, außer mir war niemand da und es war eiskalt. Also versuchte ich mich selber an dem alten Ölofen, aber erstmal vergeblich. Wieder eine völlig andere Konstruktion als bei meinen bisherigen Hütten. Und irgendwie kam kein Öl in den Ofen. Ich gab bald auf, fragte bei der Hüttenwärterin nach Hilfe, und zog dann auf ihren Rat doch in die große, neue Hütte um.
Den Rucksack brachte ich nach oben, wo ich ein Plätzchen am Fenster in Beschlag nahm. Dann ging ich gleich nach nebenan ins Waschhaus, wo es die erste heiße Dusche seit dem Snæfell und dem kalten Hotpot von Lindur gab. Sauber und frisch ging ich dann mit meinem Kochzeug und den frischen Vorräten in den geräumigen Aufenthaltsraum.
Ein recht netter Pole war vorerst der einzige Gast neben mir. Als wir ein bißchen über das Woher und Wohin plauderten staunte ich nicht schlecht. Er war mit einem universitätseigenen Segelboot nach Island gekommen. Jedes Jahr wurde damit eine Tour in den hohen Norden unternommen, wobei sich mehrere Studenten abwechselnd als Seeleute probierten. In den Jahren davor war er schon nach Schottland, Norwegen, Spitzbergen und noch weiter nördlich gekommen. Dieses Jahr war Island für ihn Endstation, und er trampte jetzt noch ein paar Wochen rund um die Insel und quer durch. Von der Askja aus wollte er als nächstes auf eine Mitfahrgelegenheit über die Gæsavatnaleið hoffen und dann noch nach Landmannalaugar oder so.
Während wir so aßen, kamen immer mehr und mehr Gäste zum Kochen, und bald schon war es schwer, eine Herdplatte zu ergattern. Die meisten hatten sperrige Kisten dabei voll mit klapperndem Geschirr und frischen Essensvorräten. Eindeutig Autofahrer. Und die Töpfe und Teller wurden nach dem Essen mit Spülmittel und Bürste saubergemacht. Purer Luxus. Ich war ja eigentlich schon heilfroh, daß ich hier einen Mülleimer hatte, wo ich die gesammelten Müsliriegelpackungen entsorgen konnte.
Spät am Abend kam dann noch eine ganze Horde schnatternder Italiener. Sie waren offensichtlich mit mehreren Autos unterwegs und wahrscheinlich erst am Donnerstag in Island angekommen. Jedenfalls packten sie noch einiges an Hochprozentigem aus um die überstandenen Abenteuer auf der Piste hierher besser diskutieren zu können und beratschlagten, ob morgen Víti oder nicht Víti. Viel verstand ich nicht, aber es war auf jeden Fall zu laut, so daß die ganze Hütte erzitterte.
Als sie gegen Mitternacht endlich Ruhe gaben und sich vezogen, wünschte ich meinem Polen auch noch eine gute Nacht und verkrümelte mich. Heute mal in ein halbwegs richtiges Bett, das zumindest sehr viel weicher war, als meine Isomatte. Draußen war immer noch Regen, Nebel und Eiseskälte, aber das störte mich nur auf dem kurzen Weg zum Waschhäuschen. Zivilisation!

Bilder der Tages:

13. August 2005
Pause an der Askja


Am nächsten Morgen schlief ich erstmal lange aus. Für heute hatte ich einen Pausetag eingeplant. Wenn das Wetter vernünftig wäre, wollte ich evtl. einen kurzen Ausflug zur Svartá, zum Krater Víti, auf den Gipfel der Askja oder sonstwohin machen. Aber ein erster Blick nach draußen sagte mir, daß ich heute wohl eher keinen Fuß vor die Türe setzen würde. Die ganze Nacht hatte es weitergeregnet. Die Wolken hingen tief als Nebel über dem ganzen Hochland. Fensterwetter.
Gegen halb zehn dann ein erster Ausflug in den Aufenthaltsraum, wo die letzten Gäste gerade ihr Frühstück beendeten. Und draußen plagten sich die letzten paar Camper mit Wind und Wetter ab. Auch der Pole von gestern abend war hastig am Packen, seine Sachen waren über diverse Heizkörper verstreut. Er hatte mittlerweile tatsächlich jemanden gefunden, der ihn auf der Gæsavatnaleið mitnahm. Wir verabschiedeten uns kurz, dann war er auch schon verschwunden und ich fing mit meinem Müsli an.
Sehr bald wurde es leer und es kehrte eine geisterhafte Ruhe im Haus ein. Ich holte mir meine zweite Reiselektüre, "Napoleonsskjölin" von Arnaldur Indriðassón in der Originalfassung, und machte es mir auf einer der Sitzbänke bequem. Der Regen nahm bis Mittag kein Ende und die isländische Fahne die müde am Mast hing sagte mir, daß der Wind von Norden kam. Das Thema Tagesausflug hatte sich somit erledigt.
Gegen mittag kam ein erster Reisebus an, Deutsche. Man monierte sich über die 200 ISK Benutzungsgebühren für Klohäuschen und Küche. Nach dem Lunchpaket kurz Beine vertreten und eine Runde Rauchen, dann hatte der Spuk schon wieder ein Ende und alle waren spurlos verschwunden. Diesem ersten Reisebus folgte bald ein zweiter und noch ein paar mehr, ich habe bald aufgehört zu zählen, aber das Ritual war immer das gleiche. Um mich und mein Buch in der stillen Ecke kümmerte sich niemand.
Als das am frühen Nachmittag ständig so weiterging wurde es mir irgendwann zu bunt. Das ewige genörgele über die 200 ISK nahm ich zum Anlass, zur Hüttenwirtin zu gehen und für eine weitere Nacht in der Hütte zu bezahlen. Außerdem zahlte ich die Übernachtung in der Dyngjufjöll-Hütte im Vorraus und ließ mir noch das Geld von der Karte abbuchen, mit dem ich evtl. in der Botni-Hütte per Briefkasten zahlen könnte. Danach zog ich meine Regensachen an, und marschierte los nach draußen, egal wohin.
Direkt hinter den Hütten musste es irgendwo eine beeindruckende kleine Schlucht geben, die Drekagíl. Bei meinem letzten Besuch hatte ich diesen kurzen Ausflug irgendwie verpasst, auch da war das Wetter nicht sehr einladend gewesen. Diesmal war mir der Einschnitt im Massiv der Dyngjufjöll aber ja schon auf dem Weg hierher aufgefallen. Und dem Wanderweg oder Bach zu folgen war auch kein besonders anstrengendes Tagewerk.
Die Schlucht war absolut menschenleer. Wenn man bei so einem Mistwetter eine Reisegruppe vor die Wahl stellt, heißen Kaffe in der warmen Hütte zu trinken, oder einen kleinen Spaziergang zu machen, fällt den meisten die Wahl wohl nicht schwer. Ich stapfte über Felsen und Bimsstein weiter und weiter in die Schlucht hinein, eigentlich nur mit dem Ziel, festzustellen wohin der Weg führte. Ich war nicht schlecht überrascht, als ich nach einigen Windungen einen wunderschönen Wasserfall erreichte. Abgesehen vom eher trüben Wasser im Bach tröpfelte von der anderen Schluchtseite auch ein kleiner Frischwasserbach herab, der mit einer Rohrleitung zu den Hütten weitergeleitet wurde.
Ich machte eine kleine Fotosession am Wasserfall, mit Langzeitbelichtung und ein paar anderen Experimenten. Nach etwa einer Viertelstunde hatte ich genug, und gerade als ich wieder aufbrach kam mir eine junge Familie in leuchtend roten Einheitsregenmänteln entgegen. Wir grüßten uns, was schonmal mehr war als bei den meisten Reisegruppen, die mir auf der Hütte begegnet waren.
Am späten Nachmittag kam ich zur Hütte zurück. Ich hatte mir das richtige Wetter rausgesucht, um einen Pausetag zu machen. Es war richitg ungemütlich und vor allem sehr nass. Nichts desto trotz machten die ersten neuen Zeltgäste es sich draußen bequem. Aber ich ging lieber schnurstracks in die Hütte zurück. Auch dort gab es die ersten neuen Gäste, die sich ein frühes Abendessen zubereiteten. Aus dem gemütlich die Beine auf der Bank Ausstrecken und Lesen wollte nichts rechtes werden.
Die Hälfte der Plätze waren bald von einer weiteren deutschen Busreisegruppe belegt. Ich setzte mich in die andere Ecke, zu einer dreiköpfigen Familie aus Italien. Die waren sehr viel angenehmer und schnatterten nicht so, wie die Meute von gestern, und waren andererseits auch nicht so sehr auf die Gruppe fixiert, wie der Pulk nebenan. Als ich ihnen erzählte, daß ich zu Fuß hierhergekommen war, und noch weiter nach Akureyri laufen wollte, konnten sie sich das gar nicht richtig vorstellen. Andrerseits konnte auch ich bald meinen Augen nicht mehr trauen, denn sie packten zum Abendbrot echte italienische Salami aus. Die Salami außerhalb von Italien schmeckt ja nie so richtig gut, deswegen nahmen sie auf Reisen immer einen kleinen Vorrat mit. Eigentlich ist der Import von Fleisch nach Island verboten, wie sie das trotzdem geschafft hatten, wollte ich lieber gar nicht erst fragen. Jedenfalls gaben sie mir bereitwillig eine ganze Menge ab, was meinen etwas nudellastigen Speiseplan endlich mal wieder etwas auflockerte. Um mich zu revanchieren gab ich ihnen noch eine ganze Menge Tips zum Kárahnjúkar-Gebiet, wo sie als nächstes hinwollten.
Später am Abend kam ich mit noch einem Gast ins Gespräch, der mir schon eine ganze Weile aufgefallen war. Zuerst hielt ich ihn für einen Isländer, weil er mit einem "Grænmæti"-T-Shirt herumlief. Bei so einem Wetter in T-Shirt, und dann noch mit einer isländischen Aufschrift... er kam aber doch aus Deutschland, wie sich herausstellte. Eigentlich wollte er vier Wochen lang wandern, so ähnlich wie ich. Bloß war er das erste Mal in Island und dachte, er könne dem Regen ausweichen, wusste aber nicht recht, wohin. So ist er zweimal über die Insel gefahren, hatte dann eine leere Reisekasse, hat eine Woche in einem Gewächshaus gearbeitet, und ist dann noch vom Herðubreið zur Askja gewandert. Für das nächste Mal holte er sich noch ein paar Tips, und ich konnte allemal mehr mit einem Fußgänger anfangen, als mit der Reisegruppe nebenan.
Irgendwie verging die Zeit so recht schnell, und nachdem ich von der vielen Salami auch schon satt war, sparte ich mir für heute das Kochen. Meine Füße taten mittlerweile auch nicht mehr weh. Eigentlich fühlte ich mich wunrderbar erholt. Morgen früh konnte ich bedenkenlos weitergehen, das letzte Stückchen würde ich jetzt auch noch schaffen. Als in der Hütte ein bißchen Ruhe eingekehrt war, ging ich ins obere Stockwerk zu meinem Gepäck. Ich hatte über den Pausetag hinweg ungefähr alles aus meinem Rucksack ausgeräumt und noch ein paar neue Vorräte dazubekommen. Nun fragte mich, wo ich dieses ganze Chaos wohl morgen unterbringen würde. Aber abgesehen von diesem Gedanken genoss ich die Nachtruhe und freute mich auf den letzten Teil meiner Tour.
Bilder der Tages:

Der Übersicht wegen gibt es diesen Reisebericht auf mehrere Teile aufgespalten:
Gesamt Teil 1 Teil 2 Teil 3

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