Islandreise 2003
oder: Warum manch einer mit einem Laptop auf Radtour geht.

Der Übersicht wegen gibt es diesen Reisebericht auf mehrere Teile aufgespalten:
Gesamt Teil 1 Teil 2 Teil 3


9. August 2003



Am nächsten Morgen war der Regen vollständig verschwunden. Zwar war es anfangs noch ein wenig bewölkt, aber daß sich das bald lichtet war nicht schwer zu erraten. Also verabschiedete ich mich von meinen vielen Bekannten am Zeltplatz und verabredete mich mit den globebikern in zwei Tagen am Mývatn, sie wollten unterwegs am Goðafoss noch übernachten. Und ich hatte meine Freude am Packen und endlich mal eine Menge unnützes Zeug weniger und radelte somit bald mit meiner kurzen Hose munter drauf los.
Ich hatte mit den anderen Radlern ein paar alternative Routen diskutiert, abseits der Ringstraße. Zum einen gibts einen hohen Pass über die Vaðlaheiði, aber auf Berge hatte ich heute keine rechte Lust. Zum anderen gibt es einen Weg auf 83 und 835 zunächst nach Laufás und dann an der Fnjóská entlang. Alle Wege führten aber dann am Ljósavatn vorbei und zum Goðafoss. Ich musste mich vorerst noch nicht festlegen und radelte erstmal auf der Ringstraße am Eyjafjörður entlang nach Norden. Dabei hatte ich starken Rückenwind, aus Süden also. Und eine Menge Sonnenschein natürlich auch. Trotzdem kam ich nicht so recht in die Gänge und mir lag das reichhaltige Abendessen vom Vortag noch schwer im Magen.
Naja, also machte ich ausgiebige Pausen, genoss ein wenig das schöne Wetter und die tolle Aussicht über den sonnigen Fjord. Irgendwann kam ich dann an die besagte Abzweigung. Der Weg im Norden herum war ein wenig länger und ein wenig flacher, die Ringstraße führte geradewegs über einen recht beeindruckenden Pass. Andererseits könnte man den Berg auch wieder hinunterrollen, auf dem Umweg im Flusstal hätte man im anderen Seitental sicherlich ne Menge Gegenwind. Nach ein wenig hin- und herüberlegen entschied ich mich schließlich, hier noch auf der Ringstraße zu bleiben. Die anderen beiden Wege könnte ich sicher noch während meines Semesters in Akureyri ausgiebig erkunden.
Also ging es langsam und zäh den Berg hinauf, dafür mit immer besserer Aussicht. Ich gönnte mir wieder viele Pausen, aber schließlich kam ich auch so auf den Gipfel. Dort hatte ich dann eine tolle Aussicht auf den Fluss Fnjóská vor mir. Das besondere an dessem Tal ist, daß es an den Hängen viele "Wälder" gibt, im isländischen Sinne des Wortes. Laut Karte gab es irgendwo dort unten wohl auch noch eine Abzweigung zum Vaglaskógur, dem größten und ältesten der verstreuten Waldstücke. Aber auch da wollte ich ein andermal hin.
Abgesehen von dem Ausblick hatte sich die Straße nun wieder nach Süden gewendet, dem Wind entgegen. Und der blies wirklich recht ordentlich heute. Solange es noch bergab ging hatte ich keine ernsthaften Probleme, aber dann ging es wiedermal nur recht zäh vorwärts. Irgendwann kam ich aber trotzdem zur nächsten Straßenbiegung. Die Ringstraße führte nun wieder geradewegs nach Osten, zum Ljósavatn. Außerdem war hier die besagte Abzweigung zum Vaglaskógur. Und genau an der Kreuzung lud mich erstmal ein kleiner Parkplatz zum Rasten ein.
Auf dem Weiterweg hatte ich deutlich weniger Probleme mit dem Wind. Mit Sonnenschein und blauem Himmel insgesamt ein sehr angenehmes Stückchen Ringstraße, der Verkehr hielt sich einigermaßen in Grenzen. So kam ich bald an den höchsten Punkt der Ljósavatnsskarð, von einem Gipfel oder Pass kann man bei dem recht flachen Tal nicht wirklich reden. Vor mir konnte ich den See Ljósavatn erahnen, dahinter die mir vertrauten Berge bei Fosshóll am Goðafoss. Mit dieser Aussich kam ich gleich noch ein wenig munterer voran, am Ufer des Sees wartete dann der nächste Parkplatz darauf, daß ich eine Rast machte.
Das letzte Stück zum Goðafoss war auch nicht mehr problematisch. Dort, bei meinem persönlichen Lieblingswasserfall, war dann zwangsläufig ein kurzer Fotostop fällig. Ich war zwar schon etliche Male hiergewesen, aber noch nie hatte ich so einen klaren sonnigen Tag erwischt wie heute. Mit einem Eis in der Hand spazierte ich am ruhigen Ostufer entlang, während drüben mehrere Busladungen die ganze Gegend übernahmen. Ich probierte auch endlich mal ein wenig mit dem Selbstauslöser herum, wenn man schon eine Digitalkamera hat und die Bilder gleich wieder löschen kann.
Aber es war erst früher Nachmittag, also zog ich nach einer Weile wieder weiter. Noch ein letztes Stück Ringstraße über den nächsten Hügelzug musste ich hinter mich bringen. Dieser Hügelzug ist von ganz anderer Art als die vorigen Berge rund um den Eyjafjörður. Dort hinter mir waren in den Bergflanken deutliche Schichten zu erkennen, hier war alles ein einziger gleichmäßig geneigter Hang, der geologisch gesehen wohl auch wieder völlig anders entstanden ist. Aber bergauf ging es trotzdem, wenn auch nicht ganz so lang und steil wie zuvor.
Auf der anderen Seite ging es gleich wieder hinab ins Reykjadalur. Auch diese Gegend war mir schon vertraut, und so wollte ich den normalen Weg auf der Ringstraße und am Másvatn vorbei diesmal umgehen. Als ich also den Berg vollständig hinuntergerollt war, bog ich nicht nach rechts ab, sondern nach links, auf einer Straße mit Nummer 845 Richtung Húsavík. Die Straße führte das Reykjadalur in der anderen Richtung entlang, vorbei an einem Vestmannsvatn und dann ins Aðaldalur. Der Abschnitt den ich darauf entlangfuhr war nicht asphaltiert. Aber dafür hatte ich einen kräftigen Rückenwind. Ich konnte fast Wettrennen fahren mit den wenigen Autos die mich aber irgendwie doch noch überholten.
Die Landschaft rund um den Vestmansvatn erinnerte mich schon ein wenig an den Mývatn meinem Tagesziel. Bizarre Lavaformationen und -säulen ragten hier aus den grünen Weiden heraus, mindestens so schön wie andernorts. Ich hatte also mehr oder weniger zufällig eine wunderschöne Alternative zur Ringstraße gefunden, und mit dem wunderschönem Sonnenschein darüber richtiges Wetterglück. Und außerdem hatte ich wie gesagt Rückenwind, der mich schon nach einer Viertelstunde zu meiner nächsten Abzweigung getragen hatte. Eine weitere nicht-asphaltierte ruhige Landstraße führte nach Grenjaðarstaður.
Inmitten der der sonnigen grünen Weidelandschaft gibt es dort ein weiteres kleines Museum, wiedermal ein ehemaliger Priestersitz von dem noch Wohnhaus und Kirche erhalten sind, Dejavu. Trotzdem fand ich die Atmosphäre hier lebendiger, nicht so sehr museumshaft wie in Glaumbær. Außerdem war hier wohl mal eine Telegraphen- und Poststation untergebracht, und überhaupt war alles auch ein wenig größer und eben anders.
Es war schon später Nachmittag als ich weiterkam. Allzuviel Strecke hatte ich nicht mehr vor mir, nur noch zum Mývatn. Daß mich das noch drei harte Stunden lang in Anspruch nehmen würde, ahnte ich noch nicht. Zunächstmal suchte ich meinen Weg an einem Kraftwerk in der Laxá vorbei über isländische Landstraßen mit isländischer Beschilderung auf die Hauptpiste zwischen Mývatn und Húsavík, die 87. Naja, Beschilderung. Ich kann nicht klagen, mit dem Rad ist man ja langsam genug unterwegs, so daß ich hier meinen Weg den nächsten Berg hinauf irgendwie doch finden konnte.
Als ich dann aber auf die 87 nach Süden einbog wurde mir klar, daß ich nicht ganz so bald ankommen würde wie gedacht. Der Gegenwind war dermaßen heftig, daß ich schon fast überlegte auf der Stelle kehrt zu machen und nach Húsavík zu fahren. Aber es hilft ja alles nichts, so arbeitete ich mich langsam aber sicher auf die Kasthvammsheiði hinauf und in den Hólasandur.
Die Landschaft änderte sich hier abermals dramatisch. Statt Bergen und grünen Tälern, statt weiten Weideflächen mit Schafen gab es hier eine trockene staubige Wüste. Angeblich war sie einst durch Überweidung entstanden, auf jeden Fall künstlich waren die Begrünugsversuche die man überall sehen konnte. In schnurgeraden Reihen wachsen einige niedrige Büsche, sehr viel mehr Vegetation gibt es nicht.
Mitten in der Wüste steht eine einsame rote Schutzhütte. Als ich dort nach über anderthalb Stunden Gegenwind ankam war ich schon einigermaßen erschöpft. Außerdem begann es schon ein wenig zu dämmern, noch etwas über eine Stunde Tageslicht also bei den langsamen isländischen Sonnenuntergängen. Naja, bis zum Mývatn schaffe ich das schon noch irgendwie. Also weiter bergauf und bergab gegen den Wind treten. Um einen ruhigen Sonnenuntergang im Zelt zu erleben war ich zu langsam, auch das Bad hätte sicherlich schon zu. Verstreute Lichter leuchteten schon durch die Dämmerung als ich endlich am Schild ankam, das mich auf das Naturschutzgebiet hinwies. Vor mir lag schon fast komplett im Dunklen der Mývatn, überragt von den alt bekannten Bergen, Vindbelgjarfjall und Hverfjall.
Ich war natürlich reichlich spät dran auf dem Zeltplatz, dem zweiten der zwei Plätze in Reykjahlíð, Eldá, der mit dem Blick über den See. Ich fand einen genialen Platz mit Windschutz auf drei Seiten, bei den Bäumen gleich links. Über dem See konnte man aber nur noch den Vindbelgjarfjall aufragen sehen, kein Sonnenuntergang mehr. Und es gab auch keine Mückenschwärme mehr.
Also packte ich mein Abendessen zusammen und kochte im belebten Kochzelt. Zunächst fand ich keine alten Bekannten, Dieter war wohl schon weitergezogen. Dafür gab es um so mehr neue Gesichter, immer was los am Mývatn. Auch eine Unzahl von Radlern treffen sich hier regelmäßig, aber ich kam mit niemandem so recht ins Gespräch. Erst nach einer ganzen Weile fand ich doch jemanden den ich schon kannte, hätte mich ja fast schon gewundert. Die deutsche Tramperin, die sechs Wochen lang im Lande unterwegs war und die vor einer knappen Woche ebenfalls in Hveravellir war. Naja, ich verkroch mich doch bald ins Zelt, war müde nach den letzten drei Stunden Gegenwind.
Bilder der Tages:

10. August 2003
Mývatn


Für den nächsten Tag hatte ich wiedermal einen Ruhetag eingeplant. Was aber nicht heißen sollte, daß ich mir nichts vorgenommen hatte. Genaugenommen war mir gestern abend im Kochzelt schon zum wiederholten Male ein großes Poster aufgefallen von einer "guided tour" zu einer Eishöhle namens Lofthellir, irgendwo hier in der Nähe. Mit angeblich wunderschönen Eisskulpturen. Nur kostet die Tour 6000 ISK, was mir eindeutig zu viel ist. Also wollte ich mich mal selber auf die Suche nach der Eishöhle machen.
Ich wußte von der Tourbeschreibung ungefähr daß ich am Hverfjall vorbei, weiter nach Osten zu einem Hvannfell musste und dann etwa eine halbe Stunde ohne Straße durch ein Lavafeld mit "schier endlosen Stricklaven" wandern musste. Das klingt nach nicht sehr viel Anhaltspunkten, war aber eben alles was ich wusste. Jedenfalls schien mir das das richtige Unterfangen zu sein für einen schönen sonnigen warmen Tag, wie es heute einer war.
Ich brach also auf, mit Wanderstiefeln und Fahrrad, ohne Gepäck. Das erste Stückchen lag auf der Ringstraße, aber nur etwa 2 Kilometer, bis ich an die Abzweigung zum riesigen Krater Hverfjall kam. Dieser Krater fällt zwangsläufig auf wenn man am See ist. Er ist kreisrund und ein nahezu perfekter Bilderbuchkrater. Auch das Raufklettern und Rundherumlaufen lohnt sich, man hat meistens eine tolle Aussicht von dort, das ist bekannt. Was aber nur die wenigsten wissen ist, wie das Ding eigentlich entstanden ist, und ich hab auch ewig gebraucht bis ich das herausgefunden hatte... aber das ist eine andere Geschichte... :)
Jedenfalls, statt der normalen Straße zum Parkplatz mit dem Pfad auf den Kraterrand zu folgen, bog ich nach rechts ab um am Krater vorbeizufahren. So schön er auch ist. Statt dessen radelte ich in Richtung der Kraterreihe Ludentarborgir. Von einem australischen Bekannten (die Geschichte dazu kommt später auch noch) wußte ich immerhin schonmal von einigen schönen Spalten, die bald die Straße kreuzten und ein schönes Fotomotiv für den Selbstauslöser bieten. Dann endete mein Wissen aber bald und laut Karte die Piste auch. Ich radelte einen kleinen Hang auf die Kraterreihe hinauf und zu meiner Überraschung gabelte sich dort die Piste. Was nun?
Sicherlich konnte ich kein vorbeikommendes Auto anhalten und fragen. Während sich hinter mir am See die Touristen austobten war hier absolut nichts und niemand unterwegs. In dementsprechenden Zustand war dann auch die Piste. Die nach rechts sah aber noch ein wenig besser aus, also folgte ich der. Das war ein heidenspaß, bei Sonnenwetter auf dieser Strecke unterwegs zu sein, mit festem Untergrund und fast gänzliche ohne Steine. Weniger spassig fand ich, daß sich die Straße bald schon wieder gabelte. Die eine führte zwar genau in die richtige Richtung, geradewegs nach Osten zum Hvannfell. Aber sie machte einen so mieserablen Eindruck, daß ich lieber noch ein Stückchen weiter nach Süden radelte.
Um es kurz zu machen, ich hatte eine wunderschöne und sehr abwechslungreiche Landschaft um mich. Irgendwann, nach noch ein paar Gabelungen und Kreuzungen ließ ich mein Fahrrad an der Straße zurück und marschierte zu Fuß auf einen Berg hinauf. Von dort hatte ich eine wunderbare Aussicht auf den ganzen See und all die Sehenswürdigkeiten um ihn herum, auf der anderen Seite war eine eindrucksvolle Schulcht, vermutlich die Seljahjallagjá, aber den Namen habe ich bisher nur auf einer 1:100.000 Karte gesehen. Aber ich musste auch einsehen, daß das alles hier absolut nicht zum Hvannfell führte und schon gar nicht zu meiner Eishöhle. Also drehte ich wieder um.
Am Rückweg sah ich Hufabdrücke, sehr frisch. In der Zwischenzeit war ein Reitertrupp hier durchgekommen. An der oben genannten zweiten Abzweigung waren sie geradewegs zum Hvannfell geritten. Aber mir war dieser Weg einfach zu schlecht, also fuhr ich weiter zur ersten Gabelung zurück. Fälschlicherweise, wie ich heute weiß.
Während ich dann also meinen Weg entlangfuhr wurde mir langsam klar, daß einige der Gabelungen und Wege um ein rechteckiges, eingezäuntes Weidegebiet herumführen. An dessen Südseite waren die Reiter auf der richtigen Straße entlanggeritten, ich fuhr nun an der Nordseite entlang. Allerdings verlief sich der Weg irgendwann im wahrsten Sinne des Wortes im Sande. Also ließ ich mein Rad abermals zurück und machte mich zu Fuß auf, so weit ist das bestimmt gar nicht mehr.
Das Lavafeld, das ich zunächst durchwanderte, war von bizarrer Schönheit. Teilweise mit Büschen und Sträuchern überwuchert, teilweise mit feinem weißen Treibsand aufgefüllt und teilweise blanke scharfkantige Felsen und große Krater von eingestürtzten Höhlen. Vor mir sah ich als klares Ziel die Nordflanke des Hvannfell, mit 671 Metern eine deutlich höhere Erhebung als sie das zerklüftete Lavafeld um mich zu bieten hatte. Außerdem sah ich nun den Reitertrupp, der gerade um diesen Berg herumritt. Das spornte mich an, aber zu Pferde kamen sie deutlich schneller voran als ich zu Fuß und so waren die schon längst hinter allen Bergen als ich gerade an deren Fuß ankam. Und dort fand ich auch die "Piste" wieder, die man wohl wirklich nur noch als Reitweg nutzen kann, so verfallen und überwuchert wie sie ist. Aber auch ein sehr angenehmer Wanderweg.
Je weiter ich um den Hvannfell herumkam um so mehr veränderte sich das Lavafeld. Statt der zerklüfteten Brockenlava die ich vorhin durchwandert hatte, war es nun eher flach und mit den typischen dicken Strickfäden durchzogen, die beim Abkühlen von dünnflüssiger Lava entstehen. Aha, von dem Lavafeld hatte die Tourenbeschreibung also gesprochen. Ein ganzes Stück vor mir, etwa eine halbe Stunde Fußmarsch schätzungsweise, ragte der nächste Berg auf, Búrfell. Und dorthin hoppelten die vereinzelten rot und gelb leuchtenden Jacken des Reitertrupps, den ich in der Ferne wieder entdeckte. Bald konnte ich nur noch ihre Spuren sehen, sie selbst waren irgendwo von der Landschaft verschluckt. Aber abgesehen von den Spuren fand ich noch ein paar "Wegweiser", denen die Spuren recht genau folgten. Gelbe Pfeile auf ein paar Steine gemalt. Man hält die leicht für Flechten, wenn man nicht genau weiß wonach man suchen muss oder die Zeit und Langsamkeit eines Fußgängers hat.
Also war ich einigermaßen sicher zu wissen, wo die Höhlen von Lofthellir zu finden sind. Allerdings war das für mich heute nicht mehr in Reichweite. Ich musste ja noch zurück zu meinem Zelt. Und außerdem hatte ich sowieso keine Lampe dabei, mit der ich die Höhlen erkunden hätte können. Also beschloß ich umzudrehen, trotz allem gut gelaunt nach diesem erfolglosen aber wunderschönen sonnigen Tag in der abwechlungsreichen Landschaft rund um mich. Ich hatte Bäume (also großgeratene Sträucher), grüne Weiden, schwarze Lavafelder, weißen Sand. Fast alles was Island zu bieten hat auf sehr wenig Raum zusammengefasst.
Der Rückweg durch das Lavafeld wurde fast noch ein wenig spannend. Immer wieder mußte ich mir einen anderen Weg zwischen den schroffen Einschnitten und Felsen suchen. Irgendwann stieß ich aber nicht nur auf meine eigenen Spuren im Sand, sondern auch die eines einsamen Wanderers, der vor mir hier unterwegs war. Und denen konnte ich leicht folgen, zurück zu meinem Fahrrad, das natürlich immer noch genau so dalag, wie ich es zurückgelassen hatte. So machte ich mich wieder auf zurück nach Reykjahlíð und zu meinem Zelt.
Als ich am Zeltplatz ankam, waren neben mir zwei neue altbekannte Zelte aufgebaut. Das globebike-Team hatte den Weg hierher gefunden, und als sie mein Zelt entdeckt hatten, haben sie sich dazu gesellt. Aber ehe ich mich vesah waren sie auch schon wieder in alle Himmelsrichtungen verstreut, und so machte ich mich allein zum Freibad auf um das Entspannen nachzuholen, für das ich gestern zu spät dran war. Es hatten sich wieder viele Touristen ins Bad verirrt und so hörte man wieder viele vertraute und unbekannte Sprachen bei den Poolgesprächen.
Aber ich war bald müde und brach wieder auf "nach Hause". Nach dem Abendessen ging ich recht bald schlafen. Morgen musste ich mich wieder bei allen, die mich anrufen wollen könnten, abmelden. Es ging auf Richtung Hochland, in einsamere Gefilde weit weg von dem bunten Treiben, das rund um mich wiedermal herrschte.
Bilder der Tages:

11. August 2003

Am nächsten Morgen hab ich also nochmal zu Hause in Deutschland angerufen, mich vom globebike-Team nebenan verabschiedet und zusammengepackt. Und ich war nochmal einkaufen und Tanken, 30 ISK für meinen Benzinkocher, mit Karte bezahlt, macht sich gut am Kontoauszug. Es war ein wenig zugezogen über Nacht, aber ich vermutete, das würde sich recht bald wieder lichten, denn der Südwind blies schon kräftig. Deswegen entschied ich mich auch wieder für die kurze Radelhose.
Die ersten paar Meter fielen mir wie üblich ein wenig schwer, noch dazu ging es hinter dem Kieselgurkraftwerk von Reykjahlíð gleich auf einen kleinen aber steilen Pass hinauf. Oben am Parkplatz mit der schönen Aussicht folgte also gleich die erste Pause des Tages. Und während ich da stand und einen Blick zurück über Dampfschwaden, Kieselgurkraftwerk, See und Vindbelgjarfjall warf, kam auch schon der erste Touristenbus des Tages. Die Insassen, auch Deutsche, liefen zunächst ein wenig ziellos umher und machten alle einen Bogen um mich herum. Schließlich kam aber doch einer von denen auf mich zu und sprach mich an, mit "Sie" statt dem an Zeltplätzen und anderswo üblichen "Du". Bald wurden die anderen auf mich aufmerksam und ich war umzingelt. Immerhin, der mutige Sprecher erzählte er wäre schon zigmal in Island gewesen und hätte auch Freunde in Akureyri, die er besuchen fahren würde "wenn das hier rum ist" und und und. Warum er trotz seiner offenkundlicher Erfahrung nicht auf eigene Faust das Land erkundete, wundert mich ehrlichgesagt noch heute, aber allzubald schon wurde die Reisegruppe wieder eingeladen und im Bus verstaut und es ging weiter.
Auf der anderen Seite des kleinen Passes kam ich sogleich an die Abzweigung zu "den heißen Quellen am Námafjall", Hverarönd, viele andere Namen hab ich auch schon gehört. Ich beschloß jedenfalls nach keinen 5 Kilometern Tagesleistung schon die zweite Pause zu machen. Genaugenommen hatte ich diesen Touristenmagnet bisher erst einmal bei meinem ersten Mývatnbesuch gesehen und seither andere Flecken rund um den See bevorzugt. Aber wenn mich schon die Route hier vorbeiführte, könnte ich auch artig ein paar Bilder schiessen und ein wenig Schwefelgeruch und Dampfschwaden bestaunen. Und zuschauen wie eine Mietwagenbesatzung nach der anderen mein am Parkplatz abgetelltes Gespann besichtigte.
Den Abstecher auf der anderen Seite in Richtung Krafla sparte ich mir aber heute. Während meines Aufenthaltes in Akureyri würde ich bestimmt noch das eine oder andere Mal in der Nebensaison Zeit haben für diese Sehenswürdigkeit. Stattdessen machte ich mich endlich auf, ein paar Kilometer hinter mich zu bringen. Die Ringstraße führt vom Mývatn geradewegs nach Osten. Rechts hatte ich das Lavafeld Búrfellshraun und konnte an dessen Südende genau die Berge ausmachen, bei denen ich gestern herumgewandert war. Links von mir lagen einige flache Hügel mit grünen Schafsweiden an den Hängen und unbekannte Weiten dahinter. Und direkt neben der Straße fielen mir auch bald die Steinhaufen auf, die in regelmäßigen Abständen die alten Wege markierten. Anderen Geschichten zufolge wurden sie auch nachträglich von einigen Bauarbeitern zum Spaß errichtet.
Das Wetter wurde, wie erwartet, immer besser und sonniger, der Südwind störte mich noch nicht so sehr, noch kam er von der Seite. Und so kam ich bald an die Abzweigung der F862, der Piste am westlichen Ufer der Jökulsá á Fjöllum Richtung Dettifoss und Ásbyrgi. Für heute ließ ich diese aber links liegen, auch dort würde ich von Akureyri aus sicher nochmal hinkommen. Und hinter dem nächsten Hügel sah ich auch die Nebelschwade des Dettifoss austeigen, also war dort wohl nach wie vor alles in Ordnung, wie im letzten Jahr.
Die Gegend wurde ein wenig staubiger, sandiger und trockener als es hinabging Richtung Jökulsá. Rechts der Straße konnte ich bald auch den Ringkrater Hrossaborg erkennen. Von dort zweigte die F88 Öskjuleið Richtung Herðubreið, Askja und Sandwüste ab. Das Warnschild sprach von 268km ohne Tankstelle, von Zelten verboten und von Naturschutzgebiet. Aber auch diese Piste ließ ich vorerst in Ruhe. Vielleicht würde ich in etwa zwei Wochen dort wieder herauskommen. Als ich diesen Weg letztes Jahr probiert hatte, wurde das Wetter dermaßen kalt, windig und verregnet, daß ich nach 10km wieder umgedreht hatte.
Für heute ging es weiter auf der Ringstraße. Neben mir im Sand konnte ich schon eine ganze Weile Hufspuren verfolgen und wunderte mich mehrmals, ob das vielleicht meine Reitergruppe vom Vortag war. Aber bei der Brücke über die Jökulsá verloren sich die Spuren, keine Ahnung auf welcher Flusseite sie weitergeritten waren. Unter der Brücke tosten die graubraunen Wassermassen, staubiges Schmelzwasser von den Gletschern, die Sandwüsten am Flußufer anschwemmten anstatt grüne Oasen zu erschaffen. Auch der wechselnde Wasserstand zwischen Sommer und Winter macht es Vegetation schwer, sich zu halten.
Auf der anderen Flusseite, hinter der abenteuerlich kleinen Brücke, machte ich meine nächste kurze Pause. Mittlerweile war ich doch ganz ordentlich vorangekommen, seit dem Mývatn heute morgen. Aber die weitere Ringstraße würde eher nach Süden führen, also gegen den Wind. Das konnte also noch eine anstrengende Strecke werden bis heute Abend. Das merkte ich schon ziemlich bald, als ich weiter radelte auf den Anstieg am Biskupsöxl zu. Während ich mich dort mühsam vorwärtskämpfte kam mir ein Radlerpärchen entgegen. Die hatten ein dermaßenes Tempo und fröhliches Lächeln drauf, daß ich fast ein wenig neidisch wurde. Für einen Halt mit kurzem Plausch hatten sie aber keine Zeit.
Neben der Straße konnte ich einigen Staubfahnen zusehen, die der Wind über die abgelagerten Sandflächen jagte. Oben an dem kleinen Pass war der Boden aber schon wieder fest und grün bewachsen. Und hinter dem Pass Biskupsöxl lag ein kleines Tal in dem es sogar wieder verstreute Gehöfte gab. Dort hindurch führte auf meiner letzten Reise noch eines der letzten Stücke nicht-asphaltierte Ringstraße. Heute sah ich dort ein Baustellenschild und ahnte Schlimmes. Und tatsächlich mußte ich bald auf den groben, lockeren Kieseln fahren, die das typische Fundament für die spätere Asphaltdecke bilden. Ein mühseliges Vorwärtskommen, und so gab ich bald auf und schob stattdessen. Das gesamte Víðidalur ging es auf diese Weise schleppend vorwärts. Und unterwegs kam mir der nächste Radler entgegen, ebenfalls schiebend und über die Baustelle fluchend. Naja, ein angenehmer Grund für ein Päuschen mit Schwätzen, genau auf halbem Weg durch die Baustelle, wie sich herausstellte.
Irgendwann wurde der Straßenbelag wieder befahrbarer und so kam ich durch die Vegaskarð ins Tal Möðrudalur. Und dort bereute ich es dann, in kurzer Hose unterwegs zu sein. Bisher war der Himmel noch den ganzen Tag blau und sonnig gewesen, jetzt kamen ein paar Wolken auf. Zusammen mit dem Gegenwind wurde mir fast richtig kalt.
Aber an der Weggabelung der alten Ringstraße und jetzigen 901 mit der neuen Ringstraße 1 und ehemaligen Nummer 85 hatte ich die Baustelle endgültig hinter mir und endlich wieder eine gute feste Piste unter mir. Das gab mir mindestens genausoviel Hoffnung wie das Schild "Fjallakaffi Möðrudalur, 10km". Es dauerte trotzdem noch eine ganze Weile bis dorthin und die Wolken wurden immer dunkler. Aber schließlich und endlich kam ich in dem einsamen Ort an, meinem heutigen Tagesziel. Und das keinen Augenblick zu früh, denn es begann gerade ein wenig zu tröpfeln, als ich mein Fahrrad im Windschatten des Fjallakaffi abstellte.
Neben mir stand schon ein Rad, mit einer Flagge "Helvetiis nochirgendwas", also trieb sich hier irgendwo ein Schweizer herum. Ich musste nicht lange suchen, er kam gerade in dem Moment aus dem Kaffee heraus und wolle weiterfahren. Angesichts des Wetters und des neuen Gesprächspartners ließ er das aber bleiben und wir schwatzten schier ewig bei heissem Kaffee. Das tat richtig gut nach dem kalten Gegenwind. Der Schweizer musste in zweieinhalb Tagen in Seyðisfjörður sein, dann ging seine Fähre zurück in die Heimat. Er spielte mit dem Gedanken, für heute trotzdem hierzubleiben. Den ganzen Nachmittag lang kam hier immer wieder irgendein Radler vorbei und immer wieder wurde er dann beim Kaffee festgehalten, so daß er schon eine Menge Zeit vertrödelt hatte. Aber als der Regen nach einer halben Stunde nachließ und schließlich ganz verschwand, machte er sich doch noch auf, wenigstens ein paar Kilometer noch und dann irgendwo wild Zelten.
Ich hatte genug für heute, nur noch die hundert Meter zum Zeltplatz legte ich zurück. Ich suchte ein wenig nach einem angenehm windstillen Plätzchen, aber nach Süden hin war alles offen. Sei's drum, ein kurzer Besuch in dem kleinen Kirchlein, dann wollte ich noch ein wenig wandern gehen. Das Gästebuch in der Kirche hatte mindestens schon einmal meinen Namen drinnenstehen, aber trotz intensivem Blättern fand ich den nicht. Mittlerweile hab ich nochmal in meinen alten Reiseaufzeichnungen geblättert und herausgefunden, daß das wohl auch ein 11.8. gewesen sein muss. Also steh ich jetzt zwei Jahre hintereinander am selben Tag dort drinnen.
Die Regenwolken waren im übrigen längst wieder über alle Berge, es wurde noch recht gutes Wetter mit ner schönen Sicht auf Herðubreið. Ich machte mich also auf über ein paar kleine Bäche, über Heide, Gras und kleine sandige Flächen "Richtung Herðubreið", vielleicht auf einen kleinen Hügel und die Aussicht genießen. Alles in allem eine nette aber kurze Wanderung, denn die teilweise doch recht breiten Bäche und die einsetzende Dämmerung bewegten mich zum Umdrehen. Also doch nichts mit Hügel und Aussicht. Dafür hab ich unterwegs noch massenweise Beeren gepflückt, die es wirklich in Hülle und Fülle gab. Als Nachtisch für mein fast alltäglichs Spaghetti-Abendessen.
Im Zelt dann absolute Ruhe, nur ein paar wenige andere Gäste am Platz klimperten mit Geschirr und knisterten mit Plastiktüten. Noch ein einzigartiger Sonnenuntergang mit viel Rot, wie jeden Tag, dann eine sehr ruhige und erholsame Nachtruhe.
Bilder der Tages:

12. August 2003


Der nächste Morgen fing gleich wieder mit viel Sonne, blauem Himmel und ohne Wolken an. Na das kann ja wiedermal nur noch schlechter werden. Früh schon hab ich meine Sachen gepackt und war um 9 Uhr abfahrbereit. Es hat seine Vorteile, wenn man abends niemanden zum lange Aufbleiben und Plaudern hat, sondern sich früh schlafen legt. In absoluter Ruhe und Einsamkeit ging es dann los, weiter auf der 901 Richtung Osten und auf den Möðrudalsfjallgarður zu, die Bergkette am Ostrand des Möðrudalur.
Aber bevor ich richtig in den Bergen verschwand und nichts als schroffe Gipfel und Täler um mich hatte, genoß ich noch ausgiebigst den Rundumblick auf das Möðrudalur und auf Herðubreið. Sogar den Gletscher und die Kverkfjöll konnte man erahnen. Und durch die klare Luft konnte ich in schier endloser Ferne auf der F88 zwei vereinzelte Autos Richtung Hochland fahren sehen, die Sonne spiegelte sich irgendwo auf ihnen. Eine traumhafte Rundumsicht die ich heute für mich ganz alleine geniessen konnte.
Aber dann wieder die andere Seite von Radeln in Island, eine ordentliche Steigung auf den ersten Pass hinauf. Mit ein wenig Geduld kam ich aber problemlos hinauf, da hatte ich schon andere Berge erlebt auf meiner Tour. Oben eine kleine Pause am Steinhaufen, und da kam auch schon der erste Touristenbus vorbei, Franzosen. Sie waren diesmal recht zutraulich und zeigten sich beeindruckt und fragten, ob es denn nicht schwer sei, mit den ganzen Bergen und so. Natürlich nicht, als richtiger Islandradler ist sowas doch wohl selbstverständlich...
Mich wunderte es nicht schlecht, kaum war der erste Bus von dannen gezogen, spuckte schon der nächste seine Fracht aus. Als ich weiterfuhr sah ich am Horizont sogar schon die Staubwolken von zwei weiteren Bussen aufsteigen. Hier war ja ordentlich was los heute.
Hinter der ersten Bergkette, dem westlichen Möðrudalsfjallgarður, folgte erst ein kurzes sandiges Tal, deswegen auch die immensen Staubwolken der Busse, und dann die nächste Reihe, der östliche Möðrudalsfjallgarður. Beide Bergreihen sind als Kraterreihen entstanden, daher ihre Nord-Süd-Ausrichtung parallel zu den Plattengrenzen. Und meine Straße, wiedermal mit der schönen Steinreihe parallel nebenan, führten von Ost nach West, und dementsprechend über eine Bergkette nach der anderen und bald über den nächsten Pass. Aber auch den konnte ich problemlos überradeln, ist doch selbstverständlich, als Islandradler.
Dahinter lag endlich die recht flache Jökuldalsheiði, wieder eine deutlich grünere Gegend mit völlig anderem Charakter nach den steinigen, öden Bergen. Außerdem ging es insgesamt wohl länger und weiter bergab als ich heute schon bergauf geradelt war. Ein richtiges Tal also im Vergleich zu dem hochgelegenen Möðrudalur, und ein angenehmer Streckenabschnitt mit grüner Heide und klaren Bächen, wo man getrost auch mal wild Zelten einplanen könnte, wenn das Wetter denn passt, so wie es der Schweizer von gestern abend vorhatte.
Bald kamen hinter einer kleinen Anhöhe unzählige kleine Tümpel und eine Sumpflandschaft mit viel Wollgras in Sicht. Dort zweigte auch meine Piste ab, die 907, die in meiner Karte als F 907 bezeichnet ist. Als ich dort nach Süden abbog sah ich in der Ferne vor mir Regenwolken. Irgendwo hinter denen und ein paar Bergen vielleicht müßte der Snæfell aufragen, mein nächstes Etappenziel. Es sah so aus als würde ich heute zum ersten Mal seit langem wieder ein wenig naß werden.
Aber vorher hatte ich noch eine Weile Sonnenschein und eine idyllische grüne Landschaft um mich. Schon wenige Kilometer nach der Abzweigung sah ich den Sænautavatn vor mir und an dessen Südufer die Hütten Sænautasel. Eine perfekte Idylle, ich konnte nicht wiederstehen, hier eine Pause einzulegen. Am Seeufer waren zwar ein paar Fliegen unterwegs, aber ich genoß es trotzdem dort ein wenig zu sitzen, am grünen Ufer und noch dazu im Sonnenschein. Auch eine isländische Familie war hier, mit einem gemieteten Tretboot hatte ich sie vorhin herumpaddeln sehen. Jetzt saßen sie in einer urgemütlichen Grassodenhütte, einem kleinen Kaffee. Ich gesellte mich dazu, es gab ohnehin gerade Pönnukökur með rjómi, leckere süße Pfannkuchen. Meine Pause wurde glatt noch ein wenig länger...
Bald zogen die Isländer aber weiter und auch ich machte mich wieder auf den Weg. Die Regenwolken waren noch nicht nähergekommen, aber abgeregnet hatten sie sich auch noch lange nicht. Und während ich über die kleinen Hügel und an einer Bergflanke entlangradelte, über ein paar Brücken, keine Bäche, da fing es irgendwann mit leichtem Tröpfeln an. Und ganz offensichtlich wurde das nicht weniger. Also mußte ich mein Regenzeug hervorkramen. Ich hatte schon fast vergessen, wo ich das alles verstaut hatte. Kapuze aufsetzen und weiterradeln. Meine lange Radelhose hatte ich zum Glück gleich morgens angezogen, nachdem es mir gestern im Wind gar so kalt war.
Durch den Regen und die niedrig hängenden Wolken kam ich nach einer Weile zu einer Menge Steinmännchen, die neben dem Weg auf einer kleinen Anhöhe thronten. Und, wie erwartet markierten sie eine Kreuzung. Ich war auf die F910 gekommen, bei Regen und niedrigen Wolken, so wie ich diese Kreuzung vom letzten Jahr noch kannte. Bloß war diesmal kein Snæfell in Sicht, der genau ein Jahr und einen Tag zuvor im letzten Abendlicht rot hier herübergeleuchtet hatte.
Ich wandte mich nicht nach Westen, dem neuen Schild Richtung Kárahnjúkur folgend, sondern nach Brú í Jökladalur. Dorthin rollte ich jetzt fast schon unangenehm schnell hinunter, ins Tal der Jökulsá í Dal, oder Jökulsá á Brú oder einfach Jöklá, auch hier gibt es wieder viele Namen. Und während ich hinunterrollte, merkte ich, daß irgendetwas an meiner Vorderbremse schleifte und ungewohnt Klang, wo ich doch sonst jedes Geräusch an meinem Rad sofort erkenne. Auf Anhalten hatte ich aber erst ganz unten Lust, nach dem Ausrollen vom steilen Hang. Eine Untersuchung zeigte mir, daß wohl irgend ein Teil des Bremsklotzes eine unangenehme Bremsspur in die Felgenflanke geschliffen hatte. Die Felge sah zwar noch nicht wirklich mitgenommen aus, aber ich sollte die Vorderbremse wohl nur noch mäßig einsetzen und das bei Gelegenheit mal in Ordnung bringen. Genauer untersuchen wollte ich das im Moment grade nicht, das abgeriebene Pulver des Bremsbelags, die feine Metalspäne, der Schlamm und der Regen waren eine unangenehme Mischung. Vielleicht beim nächsten Zeltplatz oder so. Beim Weiterfahren phantasierte ich dann eifrig, war der Bremsklotz abgenutzt, obwohl er doch noch so neu ausgesehen hatte, daß ich keinen Ersatz eingepackt hatte, oder war da nur irgendwo ein Stein oder was verklemmt oder was...
Naja, Trotzdem musste ich noch ein wenig weiter, das letzte Mal hatte ich hier wild gezeltet und am nächsten Morgen vor lauter Regen die Tour zum Snæfell aufgegeben. Diesmal wollte ich nicht wieder die einfache Variante im Tal entlang nach Egilsstaðir nehmen. Also radelte ich munter los, über die Brücke, dann vorbei an noch einer Abzweigung Richtung Kárahnjúkur, vorbei am Hof Aðalból, der zwar als Tankstelle mit Laden eingezeichnet ist aber definitiv einen völlig anderen Eindruck macht als erwartet.
Hinter Aðalból war die erste richtige Furt seit langem zu überwinden. Der Fluß Hrafnkel, der dem ganzen Hrafnkelsdalur den Namen gab, oder auch andersrum. In der alten Sagazeit gab es hier wohl viele Höfe und viele interessante Geschichten wie die Hrafnkelssaga spielten sich hier ab. Heute stand da ein in Regenzeug verpackter Radler vor einer recht ordentlichen Furt und hatte keine Lust darauf, noch nässer zu werden. Aber es hilft ja alles nichts, Anhänger ab, Fahrrad rübertragen, zurück durchs Wasser und Anhänger rübertragen. Ist doch alles halb so wild. Kurz nach dieser Aktion kam auch zum ersten Mal seit langem wieder ein Auto.
Die Piste, schon seit der Baustelle im Víðidalur im übrigen durchgehend nicht asphaltiert, aber meist sehr angenehm zu fahren, wurde hier am Ende der Zivilisation wieder deutlich steiniger und holpriger. Aber ich kam immer noch recht gut vorwärts, und sah schon bald die nächste Problemstelle vor mir aufragen. Die Piste führte an der Talwand berauf, ins Hochland. Und das heißt in Island nur selten "sie schlängelte sich in Serpentinen hinauf". Beinahe in schnurgerader Schussfahrt, vermutlich im Durchschnitt mehr als 30% Steigung, an einigen Stellen deutlich darüber. Nicht sehr angenehm also. Hier meine persönliche Warnung an alle, die da langfahren wollen: nehmt die andere Richtung. Nicht hinauf. Ich hab volle anderthalb Stunden hinaufgeschoben, mit vielen vielen Pausen, und war völlig erschöpft und durchgeschwitzt dort oben.
Immerhin, während dieser Tortur ließ der Regen nach. Da ich aber keine Möglichkeit sah, mein Regenzeug wegzupacken ohne daß mein Rad den halben Berg wieder hinuntergepurzelt wäre, musste ich es anbehalten. Im übrigen kam auch kein einziges Auto vorbei, die ganze Zeit. Erst als ich ganz oben ein letztes verdientes Päuschen machte, da waren gleich wieder zwei oder drei unterwegs und die Insassen winkten anerkennend. Und es war ein ungewöhnliches Gefühl, als ich weiterradelte, ungefähr so wie nach 3 Wochen ohne Rad saß ich auf meinem Gefährt und bugsierte es zwischen den Steinen hindurch.
Vor mir sah ich dafür als Belohnung den Snæfell, nah wie nie zuvor, mit ein paar Wolken, ein wenig rotem Licht, dunkelblauem Abendhimmel dazwischen. Ein schöner Anblick. Bloß leider wurde es eben langsam dämmrig und ich hatte noch ein Stückchen vor mir bis ich ganz dort war, beim Snæfell und der Hütte. Diese Steigung hat nicht nur Kraft, sondern auch Zeit gekostet.
Die weitere Strecke war ganz gut zu fahren, steinig zwar, aber da kann man ja drum herumfahren. Bald kam wieder eine Furt, die recht beeindruckend aussah. Über die Hölkná ging es diesmal. Ich hatte absolut nicht die mindeste Lust auf Anhänger abnehmen und Furten in drei Zügen, also hab ich einfach so durchgeschoben. Auch das ging recht gut, die Packtasche am Hänger ist eben wirklich wasserdicht. Meine Kette mußte aber wiedermal ein wenig leiden.
Irgendwann kam ich dann wieder unvermittelt in die Zivilisation. Die neue Piste zum Kárahnjúkur Staudamm wurde eifrig gebaut. LKWs, Bagger, Raupen, eine kleine Containersiedlung. Aber mein Weg führte geradewegs über diese neue Trasse, weiter in Richtung Süden und Snæfell, also hatte ich die unwirkliche Baustelle bald wieder weit hinter mir. Der Snæfell ragte aber immernoch unübersehbar vor mir auf, zwischen dichten Wolken und immer dichter werdenden Schatten. Aber meine Piste und auch den einzigen Wegweiser an dem ich noch vorbeikam konnte ich problemlos erkennen.
Laut Karte mußte ich noch einen Fluß furten. Als ich dann schon eine ganze Weile an diesem Fluss entlanggeradelt war, machte ich mir fast schon Sorgen. Aber als ich bei einem immens großen Steinhaufen vorbeikam, löste sich das Rätsel. Die Furt war an einer Stelle wo vier kleine Seitenarme zusammenfließen, jeder der Vier Seitenarme war deutlich einfacher zu durchschieben als die Summe der Einzelteile.
Die öde Steinlandschaft verschwand zusehends in der Dunkelheit um mich herum. Mittlerweile ging es schon auf 10 und 11 Uhr abends zu, da wird es im August auch in Island ein wenig finster. Schließlich kam ich zu einer letzten Furt, diesmal über eine Grjótá. Auch hier problemloses durchkommen, auch wenn die Furt sehr breit und beeindruckend aussieht. Wind und Regen ignorierte ich schon längst, bald würde ich irgendwo mein Zelt aufbauen und endlich mein Abendessen kochen. Egal ob bei der Hütte oder einen Hügel davor. Aber mein Ziel lag schon hinter dem nächsten Hügel.
Gegen 11 Uhr Abends kam ich dann endlich an. Der Hüttenwart war noch auf den Beinen, er hatte Besuch von ein paar Isländerinnen und ein wenig Brennivín und er sprach fließend deutsch und alle sagten "we are deeply impressed", als ich erzählte, ich sei heute von Möðrudalur hierher gekommen. Bevor ich all diese Rätsel lösen konnte verkroch ich mich ins Zelt, warf draußen den Kocher an, und setzte mich ins Trockene. Während draußen meine Spaggethi fertig wurden richtete ich ich ein, der Abwasch nach der Mahlzeit konnte bis morgen warten, im Nu war ich eingeschlafen.
Bilder der Tages:

13. August 2003
Snæfell






Am nächsten Morgen sah es immer noch recht regnerisch aus, dicke Wolken, gelegentliche Schauer, ungemütlich kalt. Eigentlich war ich den beschwerlichen Weg hierher geradelt, um ein wenig zu wandern. Ich wollte in die Vesturöræfi, ein üppiges Grasland zwischen dem Snæfell und der Jökulsá í Dal, das durch das Staudammprojekt teilweise verschwinden würde. In einigen Karten, eine ironischerweise von der isländischen Energiebehörde Landsvirkjun herausgegeben, war eine kleine Hütte Sauðakofi eingezeichnet, zu der es irgendeine Art von Piste zu geben schien.
Soviel zu meinem Plan, den Tag begann ich erstmal mit einem Besuch in der Hütte, wo noch eine Wandergruppe eingekehrt war. Auch die hatten keine rechte Lust bei dem Wetter und warteten auf eine Besserung. Somit hatte ich bei einigen Tassen heißem Tee noch ein paar nette Gesprächsgelegenheiten, auch mit dem Hüttenwart. Der war tatsächlich aus Deutschland, lebte schon ein paar Jahre in Island und war diesen Sommer offensichtlich zum ersten Mal in der Hütte tätig. Er selbst war noch nie in der Vesturoræfi, konnte mir also auch nicht allzuviele Tips geben bezüglich dieser Piste.
Naja, recht bald wurde mir das ewige Warten zu öde, draußen regnete es schon nicht mehr wirklich, nur noch dicke Wolken zogen übers Land. Und das von Süden. Der Wind hatte vom zwischenzeitlichen Osten gestern nachmittag mal wieder ein wenig gedreht. Mit etwas Glück klart das bald auf, meinte auch die Führerin der Wandertruppe, die heute noch den Snæfell besteigen wollten. Also machte auch ich mich startklar, umdrehen könnte ich immer noch.
Ich zog meine dicken Wanderstiefel an, packte ein paar Kekse in den Rucksack und los ging es, mit Fahrrad aber ohne dem ganzen übrigen Gepäck versteht sich. Beinahe hätte ich mit dem "übrigen Gepäck" auch meine Furtsandalen vergessen, aber die könnten heute noch wichtig werden.
Die Abzweigung meiner Piste hatte ich gestern schon in der Dunkelheit entdeckt, etwa 100 Meter bevor ich zur Hütte gekommen war. Heute radelte ich diesen reichlich steinigen Weg also entlang. Aber das ging eigentlich recht gut, die vielen Steine waren alle recht groß und man konnte wiedermal problemlos drumherum fahren, besonders wenn man kein Gepäck hatte. Ein paar kleine Bäche waren auch zu durchqueren, problemlos und noch ohne Watsandalen und nasse Füße machbar.
Den Karten zufolge führte genau eine Piste über einen kleinen Hügelzug und auf der anderen Seite weiter zu einem Flüßchen Sauðá, das ich überqueren musste. Von einer zweiten Piste und einer Wegkreuzung, wie ich sie jetzt am Hang des Hügelzuges vor mir hatte, war nirgends die Rede gewesen. Bei einer kurzen Besinnungspause merkte ich erstmal, daß das Wetter dabei war, sich deutlich zu bessern. Im Süden hingen noch ein paar Wolken, aber hinter mir hatte ich schon ein paar Flecken blauen Himmel und ein wenig Sonnenschein am Snæfell. Weiterhin merkte ich, daß die Piste geradeaus zwar bergab und in die richtigere Richtung führte, aber auch in einem deutlich schlechteren Zustand war und vermutete, daß sie wohl irgendwo im Nichts enden würde. Also entschied ich mich erstmal für den steilen Bergauf-Weg.
Dabei hatte ich eine immer bessere Aussicht auf die Wiesen am Fuß des Snæfell, aber was hinter dem Hügelzug auf mich wartete, konnte ich immer noch nicht sehen. Außerdem blieb die Vegetation hinter und unter mir zurück, die Piste führte zusehends in eine ödere und steinigere Landschaft. Und die Piste teilte sich bald schon wieder. Geradeaus, diesmal nach Süden, ging es offensichtlich in ein weiteres Tal mit viel Wasser, kleinen Seen, und dahinter dem Gletscher Vatnajökull. Die Alternative nach Westen war eher meine Richtung, also arbeitete ich mich ein Stück weiter bergauf. Bald kam ich aber ans Ende der Piste, ein kleiner Parkplatz, der mit vielen Stöcken markiert war. Von hier aus ging es höchstens noch zu Fuß weiter.
Aber von hier aus hatte man auch eine hervorragende Aussicht auf die Vesturöræfi, die für mich so lange hinter den Hügeln verborgen war. Leider war das meiste zwar hinter Regenwolken verborgen, die sich am Nordrand des Vatnajökull abregneten, aber trotzdem konnte ich zwischendurch gelegentlich die markanten Kverkfjöll und den Herðubreið erkennen. Im Norden sah es dagegen schon richtig freundlich aus, hinter einer Reihe von Hügeln schien dort die Sonne. Und direkt zu meinen Füßen unter einem steilen Hang lag eine große grüne Ebene, durchzogen von unzähligen kleinen Bächen und Flüßen, Abflüße und Zuflüße für ebenfalls unzählige kleine und größere Seen. Irgendwo in der Ferne ging es bergab ins eigentliche Tal der Jökulsá, aber den Fluß selber konnte man nicht sehen. Vielleicht in ein paar Jahren, wenn sich dort der Stausee Hálslón ausbreitet...
Außerdem konnte ich eine Piste erkennen. Offensichtlich der Weg, den ich bei der ersten Gabelung nicht genommen hatte. Also genoß ich noch ein wenig die Aussicht und stimmte mich in Gedanken schonmal darauf ein, umzukehren bis zur Abzweigung. Als ich wenig später dann auf der richtigen Piste unterwegs war merkte ich bald, daß diese zwar auf den ersten Blick weniger einladend aussah, hinter ein paar Kurven aber wieder besser wurde.
Auf der westlichen Seite der Hügelkette ging es jetzt also bergab, das Wetter sah mittlerweile auch dort schon deutlich freundlicher aus. Und bald kam ich in eine grasbewachsene und grüne Gegend, und die Piste änderte deutlich ihren Charakter. Hatte ich oben in den Steinen noch lockeren Sand und eben Steine unter den Reifen, führte die Piste jetzt über richtige Erde, teilweise auch über Gras. Die Fahrspur war teilweise auch recht tief eingesunken ins Erdreich, mit einem breiten Gefährt ist das sicherlich eine Schaukeltortur, mit meinem Rad konnte ich mir immer die beste Spur heraussuchen und dort bequem entlangfahren.
So kam ich bestens vorwärts und in die Vesturöræfi hinein. Und ich erreichte bald wieder eine Gabelung. Ich nahm die rechte Möglichkeit, der Weg führte bald an einem kleinen Bach entlang, teilweise hindurch, machte aber wieder eine Linkskurve und ich kam somit zur anderen Alternative zurück. Und auf diesem vereinten Weg kam ich bald an einen Fluß mit Furt. Das musste wohl die Sauðá sein, der größte der vielen Bäche hier. Und der tiefste. Und nicht der einladendste zum Furten. Auch kein Problem, wenn mans recht besah, aber erstmal machte ich eine ausgiebige Pause im Gras am Ufer und knabberte ein paar Kekse.
Es war mittlerweile richtig sonnig und warm geworden, einige Wolken hielten sich zwar noch, aber bestimmt auch nicht mehr lange. Und so saß ich eine geraume Weile einfach nur im Gras und hörte dem Geplätscher zu. Entspannen, mitten im Nirgendwo, vermutlich heute als einziger Mensch der hier vorbeikam. Ruhe rund um mich.
Ich überlegte, daß es wohl das sinnvolslte wäre, mein Fahrrad hierzulassen, den Fluß zu durchwaten und den Rest bis zur Hütte Sauðakofi zu wandern. Bei dem herrlichen Wetter, das während der Pause natürlich immer besser wurde, war Umkehren und im Zelt oder der Hütte sitzen keine wirkliche Alternative. Gesagt getan, bald stand ich am anderen Ufer, ließ meine Füße ein wenig trocknen und waderte entlang der Piste nach Osten. Mittlerweile hatte ich auch eine hervorragende Rundumsicht, den Snæfell hinter mir, scheinbar in greiffbarer Nähe vor mir die Kverkfjöll, irgendwo zwischen ein paar Hügeln ragte auch der Gipfel des Herðubreið auf und dazwischen fast keine Wolken am blauen Himmel. Was kann man sich mehr wünschen.
Als erster Wunsch fiele vielleicht ein, nicht schon wieder eine Furt. Die Piste überquerte schon wieder die Sauðá, die hier eine langgezogene Schleife mit dem Namen Sauðárkrókur bildet. Die Furt war ein wenig tiefer und breiter diesmal, aber trotzdem nicht wirklich schwierig zu durchqueren. Ohne Fahrrad und Gepäck eigentlich in erster Linie eine angenehme Abkühlung für die Füße. Und der Bach gibt ein schöne Fotomotiv ab, mit der arktischen Weideröschen zwischen den Steinen am Ufer und den eindrucksvollen Bergen am Horizont dahinter.
Die Piste war am anderen Ufer ein wenig schwer wiederzufinden. Am Bach waren wie gesagt unzählige Steine, wo Spuren sich nicht so gut halten. Aber ich fand meinen Weg und war bald mehr und mehr in Richtung Süden unterwegs, zur Sauðakofi. Abwechseld wanderte ich über einige grasige Abschnitte und andere mit vielen Steinen. So kam ich gut voran, hielt ständig Ausschau nach einer Abzweigung nach rechts von mir, zu einer Hütte Lindur die dort irgendwo sein müßte. Angeblich auch mit einer heißen Quelle, aber die ist nur auf manchen Karten eingezeichnet. Wahrscheinlich kommt man von Norden einfacher dorthin, von der neuen Straße fürs Kraftwerk, hier ich fand keine Abzweigung.
Bald kam ich zu einer kleinen Anhöhe. Und von einem besonders großen Findling dort hatte ich wieder eine hervorragende Aussicht, diesmal in erster Linie in Richtung Süden. Dort breitete sich der Brúarjökull aus, ein Teil des Vatnajökull. Links davon einige Berge rund um den Snæfell, rechts ebenfalls einige markante Berge, die Kverkfjöll. Ein toller Fleck für ein Panorama, dachte ich und zückte die Kamera.
Außerdem konnte ich jetzt schon die Sauðakofi ausmachen, die nicht mehr allzuweit entfernt schien. Also machte ich mich auf und folgte weiterhin der Piste. Mittlwerweile kreuzten immer wieder Reiterspuren meinen Weg, die scheinbar den schnurgeraden Weg auf die Hütten zu nahmen, während die Fahrpiste sich ein wenig hin- und herschlängelte. Trotzdem führte natürlich beides an mein Ziel.
Die Hütten machten einen etwas verlassenen und verfallenen Eindruck. Sicherlich kommen nur sehr selten Leute hierher, meistens Reitertruppen. Ich warf einen kurzen Blick in den halbverfallenen Pferdestall, öffnete dann die Tür zur eigentlichen Hütte und blätterte im allgegenwärtigen Gästebuch. Offiziell stand da, man sollte Thermometer und Barometer außen ablesen und eintragen, leider war das Ablesen bei der abgesplitterten Farbe aber gar nicht so einfach, und so kam es nur zu einem normalen Eintrag. Viele Besucher hier äußerten sich zu dem Staudammprojekt. Kein Wunder, verschwindet die Hütte doch zumindest teilweise bald im Stausee. Abgesehen davon war auffällig, wie wenig Leute an dieser einsamen Hütte vorbeigekommen waren, nur alle paar Tage gab es ein Eintrag.
Es wurde langsam aber sicher spät, also blieb ich nicht allzulange und machte mich dann auf den Heimweg. Auf meinem Rückweg folgte ich dem schnurgeraden Reitweg, irgendwann rechtzeitig werd ich schon auf die Piste zurückfinden. Ungefähr bei meiner Panoramaanhöhe beispielsweise, den makanten Findling erkannte ich schon von weitem wieder. Und weil das Wetter mittlerweile noch besser geworden war, löschte ich die alten Panorama-Bilder wieder um das nochmal mit mehr Sonnenschein und Blau zu wiederholen. Danach marschierte ich weiter, der Ausflug heute hierher in die grüne Vesturöræfi bei Sonnenschein war eindeutig einer von der schönen Sorte, die noch lange in Erinnerung bleiben. Aber es sollte noch besser kommen.
Während ich so dahinwanderte erkannte ich mit mal zwischen ein paar Felsen links der Piste ein paar andere Lebewesen. Graubraun, gut getarnt zwischen den Steinen. Und mit vier Beinen. Und mit einem Geweih. Rentiere! Ein paar Herden dieser Tiere sollten vor vielen Jahren mal im östlichen Island angesiedelt werden und streifen jetzt wild durch die Landschaft. Und heute offensichtlich genau über meinen Weg. Nach einiger Zeit kamen hinter einigen Steinen mehr und mehr Tiere hervor. Am Ende schätzte ich das Knäuel von Leibern, Hälsen und Beinen auf etwas unter 50 Tiere. Und der Hügel hinter dem sie so plötzlich aufgetaucht waren, war etwa 100 Meter von mir entfernt, und das beunruhigte sie offensichtlich. Bald verfielen sie in einen kleinen Galopp, kreuzten meine Piste und liefen in Richtung Südsüdosten weiter. Auch wenn ich somit nicht viel von der kurzen Begegnung hatte, eine Rentierherde bekommt man wohl nicht allzubald wieder zu sehen in Island. Noch eine unvergessliche Begegnung also.
Mein weiterer Weg führte mich zurück ins Tal der Sauðá und zu den Furten. Auf die Furten hatte ich aber diesmal keine Lust, zweimal den selben Fluß überqueren muss ja nun wirklich nicht sein. Also wanderte ich stattdessen am Nordufer um die Halbinsel herum. Auch nicht schlecht, auch wenn es vielleicht ein wenig weniger angenehm zu Laufen war zwischen Moospolstern und niedrigem Beerengestrüpp als auf der ausgetretenen Piste.
Und so kam ich zurück zu meinem Fahrrad, das natürlich genau so dalag, wie ich es hingelegt hatte. Nach einer abermaligen ausgiebigen Pause im Ufergras radelte ich von dannen, langsam wurde ich hungrig und die Sonne würde auch bald anfangen, unterzugehen. Auf der angenehm zu fahrenden Piste konnte ich stellenweise noch meine Spuren vom Vormittag erkennen und einige recht frische Reiterspuren. Der Boden war ein wenig matschig, und so rutschte ich gelegentlich ein wenig aus, genau wie die Pferde vor mir. Bergauf war das schon ein wenig schwieriger als zuvor bergab. Und während ich so langsam hinauf radelte, erkannte ich in dem Matsch mit mal ein Metallstückchen. Was das wohl ist... Neugierig hob ich es auf und begutachte es. Ein Hufeisen! Ein recht kleines Hufeisen zwar, aber trotzdem, das Glück des Tages ist komplett!
Als ich endlich wieder zurück zur Weggabelung kam, beschloß ich, nochmal auf den Aussichtsberg Sauðahnjúkur hinaufzufahren. Oder zu wandern vielleicht. So viel Zeit hatte ich schon noch. Also legte ich das Rad abermals neben der Piste ins Geröll und wanderte los. Noch weiter aufwärts radeln mußte ja nun nicht wirklich sein, wenn es nur in eine Sackgasse geht. Oben am Parkplatz sah ich mittlerweile auch mal ein Auto, zum ersten mal seit ich von der Hütte am Snæfell aufgebrochen war. Die beiden Insassen waren direkt von dort losgefahren und kletterten jetzt ein wenig auf dem Berg herum. Als ich am Parkplatz ankam genoß ich einfach nur das Abendlicht. Mittlerweile waren sämtliche Regenwolken verschwunden und ein blauer Himmel spannte sich über Vatnajökull, Kverkfjöll, Vesturöræfi und Herðubreið, und die Sonne schien mir mitten ins Gesicht. Keine optimalen Bedingungen für eine neue, sonnigere Version des verregneten Panoramas von heute morgen, und so saß ich einfach nur eine Weile da und schaute über die Landschaft.
Schließlich machte ich mich aber doch auf die letzte Etappe zurück "nach Hause", unterwegs überholte mich natürlich der Jeep von grade eben, grußlos, wortlos, keine Ahnung, was die sich gedacht haben, als sie einen Radler auf diesen Pisten gesehen haben. Die letzten paar kleinen Bäche waren schnell überwunden und so kam ich also zurück zu meinem Zelt. Mittlerweile hatte ich neue Nachbarn, zwei schweizer Landrover mit Campingdach und Allerlei und ein kleines rotes Zelt. Das gehörte einer isländischen Familie, wie ich bald herausfand. Der Mann und die Tochter waren unterwegs auf den Gipfel des Snæfell, die Frau sprach fließend Deutsch und wartete in der Hütte auf ihre restliche Familie. Eine nette Gesprächspartnerin, und so bekam sie zu hören, was für einen wundervollen Tag ich heute hatte, und ich bekam zu hören, daß sie morgen zu den Eyrarbakkar wollen, einem berühmten Vogelbrutgebiet ein wenig südlich des Snæfell.
Beim Abendessen traf ich außerdem die Wandergruppe wieder, bekam ein wenig was von ihrem leckeren Chilli con Carne ab und sparte mir somit für heute das Kochen. Außerdem lernte ich noch meine schweizer Landrovernachbarn kennen, die wiedermal einen recht cowboymäßigen "und-auf-welchen-Gipfel-klettern-wir-heute"-Eindruck machten. Trotzdem, ein angenehmer Abend als Ausklang für einen wunderbaren Tag in der Vesturöræfi. Bevor ich schlafen ging, hängte ich noch mein Hufeisen unterm Innenzelt ans Gestänge, über den Eingang, wie sich das gehört.
Bilder der Tages:

14. August 2003

Der Himmel zog sich über Nacht wieder ein klein wenig zu und am nächsten Morgen blies ein kalter Südwind. Das kam mir nicht ganz ungelegen, denn für den heutigen Tag wollte ich nach Norden, Richtung Egilsstaðir. Aber mit dem Aufbruch konnte ich mir noch ein wenig Zeit lassen, dachte ich, und plauderte beim Packen noch ein wenig mit meinen isländischen Zeltnachbarn, die, wie sich herausstellte, allesamt fließend Deutsch sprachen. Als sich dann aber so langsam die ersten blauen Flecken zwischen den Wolken breitmachten, fuhr ich doch endlich los.
Ich erwartete eigentlich, daß die Wolkenlücken bald größer und größer würden und mir ein sonniger warmer Tag bevorstünde. Das wäre typisch für Island, erstmal ein wenig wolkig, dann ab Mittag aber warm. Nun radelte ich auf der Piste entlang, erst etwa eine Stunde bei vielen Steinen und den fünf kleinen Furten, die ich schon kannte, und es wurde zwar sonniger aber definitiv nicht warm. Das war ärgerlich, denn ich hatte wiedermal meine kurze Radhose an.
Leich durchgefroren kam ich so zur Kreuzung F909 mit F910, ab hier erwartete ich eine bessere Piste. Auf diese bessere Piste hätte ich aber gern verzichtet. Zum einen schon aus praktischen Gründen, die Straße war viel zu breit und ich kam mir ein wenig verloren vor. Außerdem war sie natürlich nicht umsonst so breit, sondern wurde regelmäßig von schweren LKW genutzt die scheinbar endlos hin- und herfuhren, mitten ins Nichts des Hochlandes. Als letzter Punkt störte mich an der neu gebauten Strecke, daß sie ausschließlich für das Staudammprojekt gebaut wurde. Um es kurz zu machen, auch wenn ich schnell vorwärtskam war mir das Autobahngefühl recht unheimlich.
Bald schon zweigte ich wieder ab, auf eine kleine Seitenpiste in Richtung Osten, nach Laugarfell. Dort sollte ich laut Karte bald einen kleinen und einen großen Wasserfall, eine heiße Quelle und eine Hütte finden. Und tatsächlich war der Abstecher nicht weit. Dafür ging es am Ende recht steil bergab und unten war wiedermal eine kleine Furt. Da ich aber schon die Hütten sehen konnte und keine Lust hatte, nachher wieder bergauf zu schieben und all das, stellte ich mal wieder das Rad ab und machte mich zu Fuß auf.
Unten bei den Hütten sah ich ein paar Jeeps herumstehen, aber die waren zunächst noch zu weit weg. Ich machte einen kleinen Bogen, abseits der eigentlichen Straße, um den versprochenen kleinen Wasserfall, Slæðufoss, zu besuchen. Als ich dann weitermarschierte brachen die Jeeps unter mir auf und fuhren von dannen. Auch gut, hab ich die Landschaft wieder für mich alleine. Auch den kleinen Bach zu überqueren war dann kein Problem, und so stand ich bald vor den Hütten. Dazwischen lagen überall riesige Kabelrollen herum, als sollte das hier einen Telefonanschluss geben. Einige der Hütten waren wohl Pferdestall und machten einen recht heruntergekommenen Eindruck. Aber in der Haupthütte fand ich noch ein Gästebuch zum reinschreiben und schmökern.
Die heiße Quelle war ein wenig abseits und schwerer zu finden. Es dampfte auch nicht so schön aus ihr, wie das oft üblich ist. Es dauerte also eine Weile, bis ich den schön hergerichteten kleinen Pool fand, mit gemauerten Steinen rundherum und einer Plane obendrauf. Er machte einen schön warmen Eindruck, und bei Gelegenheit muss ich da mal eine Tagesetappe ausklingen lassen.
Aber heute nicht. Heute wollte ich noch eine kurze Wanderung zu dem "großen Wasserfall" unternehmen, der auf der Karte als Kírkjufoss eingezeichnet ist. Ich konnte nur die ungefähre Richtung erahnen, Südosten, Pfad oder gar ein Hinweisschild gab es nicht. Das heißt, einen kleinen Pfad gab es schon, dem folgte ich eine Weile durch eine recht sumpfige Wiese, über einen kleinen Bach, aber dann hab ich die Spur irgendwie verloren. Also mußte ich auf eigene Faust weitermarschieren. Von dem Wasserfall sehen oder ahnen konnte ich lange Zeit nichts, denn vorher musste ich noch über einen kleinen Hügel hinüber.
Auf der anderen Seite sah ich das tief eingeschnittene Tal der Jökulsá í Fljótsdal, also schonmal den Fluss den ich suchte. Auch die Nebelfahne des Kírkjufoss konnte ich erahnen, meine Richtung war einigermaßen genau richtig. Nur machte ich jetzt trotzdem einen kleinen Bogen, denn auf dieser Seite des Hügels lag eine sumpfige Wiese, die zu durchqueren ich keine Lust hatte, mit meiner Radlermontur und ohne meine Wanderstiefel. So ganz gelang mir das nicht, also stand ich bald mit nassen Füßen am Rand der Schlucht, unter mir etwa 30 Meter senkrechter Felsen, vor mir einer der mächtigen Gletscherflüsse Islands, der etwa diese 30 Meter in zwei Stufen in die Tiefe stürtzt. In der Mitte des Wasserfalls stand eine kleine Felseninsel, so daß es insgesamt einen recht eindrucksvollen Anblick ergab. Von der anderen Seite hat man aber wohl einen besseren Blick.
Ausserdem wurde mir langsam kalt, mit meiner kurzen Radhose, dem kalten Südwind, den feinen Nebeltröpfchen überall. Also drehte ich bald um, hatte noch eine Weile kleine Stöckchen als Wegmarkierung, kreuzte wieder einen ausgetretenen Wanderpfad ohne Stöcke und überkletterte den Hügel und kam zurück zu den Hütten Laugarfell. Im Hot Pot wärmte ich meine Füße ein wenig auf, bevor ich wieder durch den kalten Bach musste. Mittlerweile war es wieder menschenleer rund um mich, daß etwa 3 Kilometer vor mir, den Berg hinauf, die Neubaustrecke zu den Kárahnjúkar von unzähligen LKW genutzt wurde, war kaum vorstellbar.
Trotzdem, als ich die kurze Stichstraße zurückgeradelt war und wieder auf die F910 Richtung Egilsstaðir einbog stellte sich unweigerlich wieder das Autobahngefühl ein, insbesondere weil ich mit dem Südwind im Rücken auch entsprechend zügig vorankam. Die Straße war noch nicht durchgehend asphaltiert, so hatte ich zunächst festen Sand mit Steinen unter mir. Bald kam ich an eine Baustelle, etwa einen halben Kilometer lang gröbere Steine, das Fundament für den späteren Asphalt. Als ich das hinter mir hatte, war ich dann tatsächlich mitten im Hochland auf Asphalt unterwegs, umgeben von nichts als öder Heidelandschaft, ein paar Seen und Findlingen. Ein eigenartiges Gefühl.
Ich machte bald eine kleine Pause an einem "Parkplatz", einer gesperrten Stichstraße zu einer Bauarbeitersiedlung. Dort hielt bereits ein norwegischer PKW, zwei ältere Damen standen daneben und lächelten ein wenig verwundert in die Landschaft, als wüßten sie nicht recht ob sie sich über die großartige Natur rundherum freuen sollten, oder sich nochmal überlegen, warum sie für ein bißchen karge Heidelandschaft nach Island gefahren sind. Sie waren gerade von der Norröna gekommen, die heute Morgen in Seyðisfjördur eine Fracht Touristen ausgespuckt hatte. Deswegen kamen mir in letzter Zeit wohl auch vermehrt große Jeeps, Campingmobile und alle sonst noch vorstellbaren Gefährte mit ausländischem Kennzeichen entgegen. Jedenfalls radelte ich nach einem kurzen Plausch bald weiter.
Die Strecke kam mir recht langweilig vor, auf dem breiten Weg mit dem unheimlich vielen Verkehr. Reizlos ging es also durch die Fljósdalsheiði, während hinter mir der Snæfell zusehends am Horizont verschwand. Vielleicht war mir auch nur einfach ein wenig zu kalt, jedenfalls konnte ich die Strecke heute nicht wirklich genießen. Unterwegs überholte mich später auch ein kleiner goldgelber Suzuki Jimny, zwei Franzosen waren darinnen und winkten mir fröhlich zu. Ich hatte sie am abend zuvor in der Hütte am Snæfell getroffen. Sie wollten heute den Gipfel erklettern und danach irgendwie weiter in den Süden. Eilprogram also, in zwei Wochen rund um Island. Aber während ich noch überlegte, hielten sie ihren Wagen und ich neben ihnen, für einen kurzen Plausch hatten sie doch noch Zeit. Sie waren wirklich den Snæfell ganz hinauf gekommen heute.
Für mich zog sich die Strecke noch eine Stunde länger dahin, dann konnte ich vor mir die steile Abfahrt erkennen, die ins Fljótsdalur hinabführte. Schon lange konnte ich das breite Tal neben mir liegen sehen, mit dem langgezogenen Lagarfljót darinnen. Irgendwo weit im Norden lag Egilsstaðir, da es aber schon langsam auf Abend zuging und mir die Straße und der Verkehr heute die Lust auf Stadt verdorben hatte, peilte ich für den Abend erstmal Atlavík und den Hallormstaðurskógur an. Dort könnte ich vielleicht sogar noch ins Bad kommen heute.
Erstmal mußte ich aber die steile Abfahrt hinunter. An sich denkt man ja immer, bergab radeln ist einfach und macht Spaß. Aber zumindest wenn man auf den isländischen Pisten mit schwerem Gepäck unterwegs ist, stimmt das absolut nicht. Außerdem schleifte nach wie vor irgendetwas unangenehm an meiner Vorderbremse, so daß ich die nur ungern benutzte. Das einzig angenehme an der Abfahrt war für mich, daß es im Tal deutlich wärmer wurde als oben im Hochland. Ich war froh als ich endlich ganz unten an das Ende der F910 gekommen war, recht unspektakulär, kein großes Hinweisschild, daß man auf dieser Strecke nach ein paar Furten und Sandwüsten zur Askja und noch weiter auf richtig unangenehme Pisten kommen konnte.
Nicht zu übersehen war hingegen ein neues Hinweisschild von Landsvírkjun, dem isländischen Stromkonzern, der den Staudamm bei den Kárahnjúkar trägt. Dort konnte man einen Zeitplan nachlesen, Karten anschauen, Zahlen von Megawatt und Qubikmetern lesen. Beeindruckend. Beängstigend.
Nach fünf Minuten und ein paar Keksen hatte ich mir ein paar weitere Pläne für heute überlegt. Zwei Kilometer nördlich von mir lag der Hengifoss, und daneben der schöne Litlanesfoss, die hatte ich beide schon letztes Jahr gesehen, jetzt im schattigen Abendlicht sicherlich nicht so beeidruckend. Zwei Kilometer nach Süden lag Skriðuklaustur, wo es früher mal ein Kloster gab und heute eine Villa von irgendeinem berühmten und wichtigen isländischen Künstler, dessen Name mir meist nach fünf Minuten schon wieder entfallen ist. Weiter im Süden, in Valþjófsstaður, soll es noch eine recht schöne Kirche mit einer beeindruckend geschnitzten Türe geben. Beides kannte ich noch nicht.
Also radelte ich bald auf einer Straße mit Nummer 931 nach Süden. Aber ich hatte irgendwie bald Motivationsprobleme, mir war wieder kalt mit dem Gegenwind und schneller vorwärts kam ich damit auch nicht. Als ich dann bei dem eigenartigen Museumsgebäude in Skriðuklaustur ankam, und das gerade in diesem Moment schloß, wanderte ich noch ein wenig in dem Ort herum, fand die Ausgrabungsstätte des früheren Klosters und überlegte, daß es wohl doch besser ist, bald mein Zelt aufzuschlagen und mich in ein heißes Bad zu legen. Und so beließ ich es bei einem Blick von außen auf das eigentümliche Haus, das so gar nicht in die Landschaft passt und trotzdem irgendwie fast schön ist.
Ich drehte also wieder um, radelte an der Abzweigung ins Hochland vorbei von der ich gerade gekommen war, radelte am Parkplatz beim Hengifoss vorbei und geradewegs auf eine Brücke zu, über die ich auf die andere Talseite gelangte. Dort hatte die Straße zwar immer noch die Nummer 931, aber die Landschaft war völlig anders. Ich näherte mich dem größten zusammenhängenden Wald in Island, Hallorstaðurskógur. Üppiges Grün und richtige Bäume säumten nun meinen Weg. Bäume, die man sogar andernorts noch als Bäume bezeichnet hätte. Ein richtiger Wald, der dementsprechend pfleglich behandelt wird von den Isländern. Zum ersten mal seit dem Wald in Hólar roch ich wieder Harz und frisches Holz. Ganz und gar ungewöhnlich für Island.
Und mitten in diesem Wald lag mein heutiger Übernachtungsplatz, Altavík. Der Zeltplatz war voll mit richtigen isländischen Campingmobilen, mit Grills, Gartengarnituren, lauten Autoradios die synchron das einzige Radioprogramm um die Wette abspielten, spielenden Kindern, Unterhaltungen mit dem Platznachbarn und allem was sonst zu einem geruhsamen Campingausflug gehört. Irgendwo fand ich ein ruhiges Plätzchen zwischen ein paar Bäumen. Eilig baute ich auf, holte mein Badezeug heraus und wollte erstmal ins zwei Kilometer entfernte Schwimmbad.
Der Zeltplatz liegt nämlich noch zwei Kilometer von dem eigentlichen Ort Hallormstaður entfernt. Und der Ort besteht auch nur aus einer Baumschule, ein paar kleinen Gästehäusern und Hotels, von denen eines das Schwimmbad nebendran hat. Und die obligatorische Tankstelle nicht zu vergessen. Jedenfalls, nicht wirklich zum Verfahren geeignet, und so fand ich bald was ich suchte. Aber dummerweise machte das Bad nicht erst um 21 Uhr zu, wie ich es an einigen Aushängen gelesen hatte, sondern schon um 19 Uhr. Ich hatte also doch keine anderthalb Stunden HotPot mehr heute.
Meine Laune war einigermaßen am Tiefpunkt, als ich zurück zu meinem Zelt fuhr. Aber unterwegs überholte mich ein dunkelroter deutscher VW-Bus mit einem vertraut wirkenden Kennzeichen "LAU". Das war doch Lauf im Landkreis Nürnberger Land, genau meine Heimat also. Einen Parkplatz weiter holte ich den Wagen wieder ein, der dort gerade angehalten hatte. Uwe und Birgit hießen die Insassen, sie waren ebenfalls heute morgen mit der Fähre angekommen und wollten Richtung Snæfell und ein wenig ins Hochland, soweit das mit ihrem Zweirad-Antrieb ging. Wir plauderten natürlich ein wenig über die Heimat, Nürnberg und so, wo es diesen Sommer unheimlich heiß gewesen sein soll. Und wir treffen uns bestimmt bald wieder in Island.
Für heute kochte ich mir noch ein wenig zum Abendessen, kam mir noch ein wenig verloren vor als scheinbar einziger Radler zwischen all den vielen Leuten und versuchte bald zu schlafen. Ich hatte mir wohl einen kleinen Schnupfen geholt heute, das ahnte ich bald. Aber dafür wollte ich Morgen auch einen ruhigen Tag einlegen.
Bilder der Tages:

15. August 2003
Egilsstaðir
Sonnenwetter weckte mich am nächsten Morgen. Es war zwar noch ein wenig schattig auf der Ostseite des Tals, aber das sollte sich bald ändern. Nach einem Frühstück war aber erstmal mein Fahrrad dran, ein wenig Generalüberholen, mal sehen, ob die Laufräder noch gerade waren und endlich die Vorderbremse in Ordnung bringen. Auch wenn ich für heute nicht viel vorhatte, der nächste Teil meiner Tour sollte wieder ins Hochland führen, und da sollte ich das Rad dann doch noch ein wenig herrichten.
Das komische Schleifen an meiner Vorderbremse, die ich die letzten Tage so gut wie nie verwendet hatte, kam im übrigen durch ein kleines Stückchen Metal oder Alu, das vermutlich von der Felge abgebrochen war und nun auf der Bremsbacke festsaß. Na wenn das mal alles ist. Die vordere Felge hatte zwar ein wenig gelitten, war aber trotzdem noch gut in Schuß. Außerdem, eine Ersatzfelge hatte ich sowieso nicht dabei.
Mit leichterem Herzen und leichtem Schnupfen wanderte ich noch eine ganze Weile durch den Wald. Das war eine angenehme Abwechslung nach der kahlen Landschaft der letzten paar Tage, und mit der Sonne die mittlerweile über den Bergen herausgekommen war konnte man sich kaum vorstellen, noch in Island zu sein. So erkundete ich etwa zwei Stunden lang zu Fuß den Wald, spazierte am Ufer des Lagarfljót entlang und ruhte mich ein wenig aus. Fern hinter dem grünlich grau schimmernden See konnte ich noch die schneebedeckten Hänge des Snæfell sehen.
Aber ich wollte heute noch etwa 20 km bis Egilsstaðir radeln. Dort in der Stadt war der Zeltplatz zwar nicht so schön gelegen, hatte aber vermutlich eine Waschmaschine und einen Supermarkt nebenan, und auch ein Freibad, das länger als bis 19 Uhr offen hätte. Also wanderte ich mit neuen Kräften zurück zu meinem Zelt und packte meine Sachen. Und währenddessen bemerkte ich, daß ich heute doch nicht der allereinzige Radler hier war. Zwei andere, natürlich auch aus Deutschland, warteten auf ihren Abflug abends von Egilsstaðir nach Düsseldorf. Bei der Abfahrt traf ich auch noch die isländische Familie vom Snæfell wieder, die sich wieder fließend Deutsch mit mir unterhielten.
Bald war ich unterwegs, durch den Wald auf einer gut ausgebauten Straße mit wenig Verkehr, warmem Sonnenschein und Rückenwind. Ich konnte mir keinen besseren Ruhetag wünschen, die paar Kilometer Tagesetappe waren genau richtig. Und so kam ich bald wieder auf die Ringstraße und legte das letzte Stückchen in die Stadt zurück.
Am Zeltplatz reservierte ich als allererstes die Waschmaschine, baute dann mein Zelt auf und ging zum Bonus-Supermarkt nebenan zum Großeinkauf. Während ich zunächst auf die Waschmaschine wartete, dann darauf, daß die Wäsche trocknete, schrieb ich bei Sonnenschein auf einer Bank die obligatorischen Postkarten an alle möglichen Verwandten und Bekannten. Der Südwind drohte mir zwar gelegentlich den ganzen Papierkram davonzuwehen, aber irgendwie war das schon machbar.
Unterdessen traf ich zwei deutsche Mädels, die zum Wandern hier unterwegs waren und einen französischen Radler, Jean-Jacques, der mir vom Globebike-Team erzählte. Die vier Radler mit den zwei Anhängern waren demnach nur wenige Stunden vor meiner Ankunft mit dem Bus losgefahren Richtung Höfn. Schade, eigentlich hatte ich fast erwartet, sie hier wiederzutreffen.
Den restlichen Tag unternahm ich nicht viel. Ich dümpelte ein paar Stunden im Hot Pot in dem schönen Freibad, wobei wieder unzählige diesmal spanische Touristen das Bad belagerten. Danach versuchte ich meine Vorräte zu sortieren und irgendwo unterzubringen. Ich hatte mehr als 5 Kilo davon, viele Nudeln, viel Müsli, ein paar Äpfel. Das mußte mir reichen für die nächsten paar Tage, die ich ins Hochland wollte. Später kochte ich ein wenig "Wok-Gemüse" aus der Plastiktüte mit kleingeschnittenem Putenfleisch aus einer anderen Plastiktüte. Ein kleines Festmahl, wenn der Supermarkt schonmal nebenan ist. Und zum Nachtisch noch ein großes Softeis von der Tankstelle gegenüber. Hmmm...
Auch wenn sich der Platz abends langsam füllte, ich war in Gedanken wohl noch nicht aus dem einsamen Hochland zurück oder schon wieder dort und hatte heute nicht so viel Lust auf andere Zeltplatzgäste, die ich nur einen Tag sehen würde. Mir wurde dabei auch bewußt, daß ich etwas für Islandradler recht ungewöhnliches machte: ich änderte die Richtung. Während ich bisher mehr oder weniger gegen den Uhrzeigersinn radelte, würde ich ab sofort wieder im Uhrzeigersinn zurückradeln, nach Akureyri. Das bedeutete völlig andere Gesichter und Leute, und die, die ich sonst von Zeltplatz zu Zeltplatz immer wieder getroffen hätte, würden mir ab sofort nur noch mit kurzem Gruß unterwegs entgegenkommen.
Mit solcherlei Gedanken im Kopf legte ich mich schlafen. Mein Zelt stand an seinem Stammplatz, direkt "um die Ecke" hinter dem Verwaltungshaus, windgeschützt zwischen den Bäumen. Die Belüftungsanlage war angeblich recht laut, aber das hörte ich erst am nächsten Morgen von anderen Zeltplatzgästen, mir selbst war alles ein wenig zu laut diese Nacht, die Ringstraße und der Ortsverkehr eingeschloßen. Wenigstens war der Schnupfen schon fast wieder vergessen.
Bilder der Tages:

Der Übersicht wegen gibt es diesen Reisebericht auf mehrere Teile aufgespalten:
Gesamt Teil 1 Teil 2 Teil 3

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